Die Erinnerungsnadel anlässlich des 80. Geburtstags von Kaiser Wilhelm II. am 27. Januar 1939
Im niederländischen Exil auf Haus Doorn kultivierte der abgedankte Kaiser Wilhelm II. weiterhin den Anspruch eines Monarchen und umgab sich mit einem rudimentären, aber streng organisierten Hofstaat. Das Herrenhaus wurde mithilfe von Mobiliar und Kunstgegenständen, die in 59 Eisenbahnwaggons aus Deutschland herangeschafft worden waren, in eine repräsentative Residenz verwandelt, in der das alte Protokoll, die Uniformpflicht und die Anrede „Majestät“ unverändert Gültigkeit besaßen. Ein fester Bestandteil des gesellschaftlichen Lebens waren die abendlichen Runden, in denen der Kaiser vor loyalen Adligen, Besuchern und Offizieren ausführlich über vergangene Schlachten und politische Entscheidungen dozierte, um seine historische Sichtweise darzulegen und die Deutungshoheit über die Ereignisse des Weltkrieges zu wahren.
Neben dieser militärisch-monarchischen Routine schuf er sich mit der „Doorner Arbeitsgemeinschaft“ ein separates intellektuelles Betätigungsfeld. In diesem Kreis widmete er sich gemeinsam mit Gelehrten kulturhistorischen und archäologischen Studien, blieb jedoch auch hier der dominierende Mittelpunkt. Um die Bindung an seine Person in beiden Sphären – dem militärischen Gefolge wie dem akademischen Zirkel – zu festigen, nutzte er intensiv das Instrument der faleristischen Auszeichnung. Er verlieh nicht nur weiterhin den Hausorden von Hohenzollern an treue Gefolgsleute, sondern stiftete auch das „Gorgo-Abzeichen“ für die Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft. Diese Verleihung von Orden und u.a. der unten gezeigten Erinnerungsnadeln fungierte als essenzielles Bindeglied, mit dem Wilhelm II. die Mechanismen souveräner Machtausübung und persönlicher Gnade auch im Exil lebendig hielt.
Quellenlage und Begrifflichkeiten
Die archivalischen Unterlagen im Doorner Archiv umfassen umfangreiche Materialien, darunter mehrfach ergänzte und handschriftlich korrigierte Listen der vorgesehenen Empfänger, detaillierte Aufstellungen über die gelieferten Exemplare sowie Restbestände. Diese Dokumente sind jedoch in ihrer Gesamtheit teilweise widersprüchlich und stellen sich als unübersichtlich dar, was die retrospektive Analyse erschwert. In den Archivunterlagen werden die Erinnerungsnadeln als Erinnerungsnadel, Erinnerungszeichen und Erinnerungsabzeichen bezeichnet. Die am häufigsten gewählte Bezeichnung ist „Erinnerungsnadel“, weshalb sie auch im weiteren Verlauf des Textes so genannt wird.
Überlieferte Unterlagen
Die Erinnerungsnadel wurde in einer limitierten Auflage produziert und verliehen. Es handelte sich nicht um einen traditionellen staatlichen Orden, sondern um eine persönliche Stiftung des ehemaligen Kaisers, die seinen runden Geburtstag würdigte und der symbolischen Aufrechterhaltung seiner monarchischen Würde im Exil diente. Eine formelle Stiftungsurkunde ist bislang nicht überliefert. Es existiert jedoch ein Anschreiben an das Hauspersonal, in dem die Stiftung erwähnt wird.

Darüber hinaus wurden den Erinnerungsnadeln bei nicht persönlicher Vergabe gedruckte Karten beigelegt, die ihre Authentizität und den Anlass dokumentierten.

Gestaltung der Erinnerungsnadel
Die Vorderseite der Erinnerungsnadel zeigt einen Eichenlaubkranz, der am oberen Ende von einer detaillierten Königskrone überragt wird. Im Zentrum des Kranzes befinden sich die Jahreszahlen „1859-1939“, die die Lebensspanne und den Anlass des 80. Geburtstags markieren. Über den Jahreszahlen ist das kaiserliche Monogramm „W“ für Wilhelm II. angeordnet, und darunter die römische Ziffer „LXXX“, die das 80. Lebensjahr des Kaisers symbolisiert. Das gesamte Objekt ist aus vergoldetem Buntmetall gefertigt, wobei die erhabenen Details des Monogramms, der Jahreszahlen, der römischen Ziffern und der Krone einen polierten Glanz aufweisen, der sich deutlich vom strukturierten oder mattierten Hintergrund abhebt.
Varianten mit Etui-Größen
Die Erinnerungsnadel wurde in vier unterschiedlichen Varianten ausgegeben, die jeweils mit einem passenden Etui versehen waren:
- Große Herren-Erinnerungsnadel Steckabzeichen mit Längsnadel, Maße ca. 32,5 × 41 mm, Gewicht ca. 11,5 g.. Ausgegeben in einem Etui von 59 × 59 mm. Hochwertige Verleihungsexemplare von Godet, feuervergoldet und poliert. Empfänger: Hochadel und besondere Gäste anlässlich der Geburtstags-Feierlichkeiten.
- Große Damen-Erinnerungsnadel Steckabzeichen mit Quernadel, Maße ca. 32,5 × 41 mm, Gewicht ca. 11,5 g. Ebenfalls in einem Etui von 59 × 59 mm. Nur für Prinzessinnen bzw. Damen des Hochadels und besondere Gäste anlässlich der Geburtstags-Feierlichkeiten vorgesehen.
- Brosche für Damen Kleine Ausführung mit Querbefestigung, Maße ca. 13,5 × 17 mm, Gewicht ca. 2 g. Etui-Größe 51 × 51 mm. Für weibliches Hauspersonal und Damen, die geschäftlich im Haus Doorn verkehrten.
- Krawattennadel für Herren Kleine Ausführung mit Längsnadel, Maße ca. 13,5 × 17 mm, Gewicht ca. 2 g. Etui-Größe 38 × 87 mm. Für männliches Hauspersonal und Herren, die aus dienstlichen oder geschäftlichen Gründen im Haus Doorn verkehrten.








Gestaltung der Etuis
Die rechteckigen Etuis wurden konzipiert, um der Erinnerungsnadel einen würdigen Rahmen zu verleihen und sie zugleich sicher zu verwahren.
Exterieur:
Der Korpus besteht aus einer stabilen Pappkonstruktion, die außenseitig mit dunkelweinrotem Papier bezogen ist. Dessen Oberfläche weist eine feine, unregelmäßige Textur mit spezifischer Linienprägung auf. Auf der Oberseite des Deckels findet sich ein umlaufendes, schmales Goldlinienornament, das ein Rechteck bildet und leicht von den Außenkanten zurückgesetzt ist – ein Zierelement zur optischen Rahmung der Deckelfläche. Die Verbindung von Deckel und Unterteil erfolgt über ein Papierscharnier, das ein vollständiges Aufklappen gewährleistet. Die Unterseite des Bodens ist mit weißem Papier kaschiert.
Interieur:
Das Innere des Deckels ist mit weißem Papier ausgekleidet und trägt zentriert das schwarz gedruckte, kreisförmige Signet des Herstellers („Gebr. Godet Berlin W. 8. Charlottenstr. 55“). Im mit weißem Papier kaschierten Unterteil befindet sich eine passgenaue, leicht konvex gewölbte Einlage. Diese besteht aus einem Pappträger, der mit cremefarbenem Samt bezogen und herausnehmbar ist. Eine präzise eingearbeitete Einkerbung im Zentrum der Samteinlage dient der Aufnahme der Nadelmechanik. Der Samtbezug schützt die metallische Oberfläche der Auszeichnung wirkungsvoll vor mechanischer Beanspruchung.




Herstellung & Qualität
Die Fertigung der Erinnerungsnadeln erfolgte durch die renommierte Berliner Ordenswerkstatt Gebrüder Godet & Co., die bereits für die Anfertigung der Hausorden Wilhelms II. verantwortlich war. Die hohe handwerkliche Qualität dieser Stücke zeigt sich in den polierten Oberflächen und der hochwertigen Feuervergoldung, die den Verleihungsexemplaren einen besonderen Glanz verlieh. Diese Exemplare werden als authentische „Verleihungsexemplare“ von Godet angesehen.
Allerdings existieren Hinweise darauf, dass weitere Hersteller beteiligt waren oder dass später zusätzliche Serien produziert wurden. Diese Nachfertigungen unterscheiden sich teilweise deutlich in der Verarbeitung: weniger präzise Details, mattere Vergoldung und insgesamt geringere Materialqualität. Dadurch entstand eine klare Trennung zwischen den hochwertigen Originalstücken und den minderwertigen Varianten.
Sammlerperspektive
Unter Sammlern wird intensiv über die Echtheit einzelner Exemplare diskutiert. Besonders im Zusammenhang mit Stücken, die etwa in den 1980er-Jahren auf den Markt kamen, wird eine mögliche Fälschungsthematik erörtert. Bislang existieren keine gesicherten Beweise für Fälschungen, doch die Möglichkeit ihres Auftretens wird von Sammlern als realistisch eingeschätzt. Gerade die deutlichen Qualitätsunterschiede zwischen einzelnen Serien verstärken die Diskussion über mögliche Fälschungen. Auffällig ist, dass manche dieser Exemplare eine gröbere Verarbeitung zeigen und sich dadurch leicht von den als original anerkannten Stücken unterscheiden lassen.
Die Marktpreise für authentische Verleihungsexemplare sind hoch, was die Gefahr gezielter Täuschungen verstärkt. Sammler konzentrieren sich daher stark auf die Abgrenzung zwischen Originalen, Nachfertigungen und Fälschungen. In Fachkreisen wird empfohlen, auf Merkmale wie die Qualität der Vergoldung, die Präzision der Gravuren und die Herkunftsnachweise zu achten.
Die Diskussionen zeigen, dass die Erinnerungsnadeln nicht nur historische Objekte sind, sondern auch ein komplexes Sammlerthema, bei dem Expertise und kritische Prüfung unverzichtbar sind.
Verleihungspraxis und Stückzahlen
Die Verleihungsrichtlinien sind nur fragmentarisch überliefert. Ein relevantes Dokument enthält eine Randnotiz des Hausministers, in der dargelegt wird, dass die große Damen-Erinnerungsnadel ausschließlich an Prinzessinnen verliehen werden sollte, während anderen weiblichen Personen die Brosche zugedacht war. Männliche Beschäftigte, beispielsweise Hausangestellte, andere Bedienstete oder Angehörige des Gartenhilfspersonals, erhielten die Krawattennadel. Es kann nicht mit Sicherheit festgestellt werden, ob diese Vorgaben konsequent eingehalten wurden. Es ist jedoch plausibel anzunehmen, dass die großen Damen-Erinnerungsnadeln und die großen Herren-Erinnerungsnadeln primär dem Hochadel und besonderen Gästen anlässlich der Geburtstags-Feierlichkeiten vorbehalten waren.
Die im Doorner Archiv überlieferten Stückzahlen erlauben die folgende Rekonstruktion.
Gemäß den vorliegenden Quellen wurden nach Doorn geliefert:
- 115 große Herren-Erinnerungsnadeln,
- 35 große Damen-Erinnerungsnadeln,
- 208 Broschen für Damen sowie
- 260 Krawattennadeln für Herren.
Dies ergibt eine dokumentierte Gesamtzahl von 618 nach Doorn gelieferten Stücken.
Nach den Feierlichkeiten zum 80. Geburtstag wurden die verbliebenen Exemplare sorgfältig dokumentiert und im Tresor von Doorn deponiert. Am 8. März 1939 waren noch 95 Stück vorhanden, aufgeschlüsselt nach großen Herren- und Damen-Nadeln, Krawattennadeln und Broschen.
Restbestände im Tresor von Doorn (8. März 1939)
| Variante | Anzahl |
|---|---|
| Große Herren-Erinnerungsnadeln | 37 |
| Große Damen-Erinnerungsnadeln | 11 |
| Krawattennadeln für Herren | 20 |
| Broschen für Damen | 27 |
Gesamt: 95 Exemplare
Wenige Tage später erfolgte die letzte bekannte Verleihung am 11. März 1939 an den Friseur Dürr aus Zeist. Damit endete die Vergabepraxis offiziell.
Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass ein Teil der Erinnerungsnadeln direkt von der Generalverwaltung des ehemaligen preußischen Königshauses in Berlin an Empfänger versandt wurde, ohne dass darüber in Doorn Listen geführt wurden. Die genaue Zahl dieser außerhalb von Doorn vergebenen Stücke ist nicht überliefert, dürfte jedoch deutlich geringer gewesen sein als die dort ausgegebenen Exemplare. Auch über die Höhe der Restbestände bei der Generalverwaltung liegen keine verlässlichen Angaben vor.
Die Erinnerungsnadeln zum 80. Geburtstag stellen demnach nicht nur seltene Sammlerstücke dar, sondern sind auch ein komplexes Objekt der Ordenskunde, das die Hofkultur des exilierten Kaisers dokumentiert. Es veranschaulicht die Bestrebungen Wilhelms II., seine monarchische Würde durch symbolische Akte zu bewahren, und zugleich die Herausforderungen, die sich bei der heutigen Forschung stellen, zwischen originalen Verleihungsexemplaren, späteren Nachbestellungen und gezielten Fälschungen zu differenzieren.
Eine Übersicht der Varianten mit ihren Spezifikationen, den im Doorner Archiv dokumentierten Stückzahlen und Besonderheiten zeigt die folgende Tabelle:
| Variante | Ausführung / Trageweise | Stückzahl (Doorn) | Etui-Größe | Empfängergruppe |
| Große Herren-Erinnerungsnadel | Steckabzeichen mit Längsnadel; 32,5 x 41 mm | 115 | 59 × 59 mm | Männlicher Hochadel, besondere Gäste |
| Große Damen-Erinnerungsnadel | Steckabzeichen mit Quernadel; 32,5 x 41 mm | 35 | 59 × 59 mm | Prinzessinnen bzw. weiblicher Hochadel und besondere Gäste |
| Brosche für Damen | Kleine Ausführung; 13,5 x 17 mm, an 25 mm breiter quer verlaufenden Broschierung | 208 | 51 × 51 mm | Weibliches Hauspersonal, Besucherinnen, auch geschäftlicher Art |
| Krawattennadel für Herren | Kleine Ausführung; 13,5 x 17 mm, jedoch an 60 mm langer senkrechter Nadel | 260 | 38 × 87 mm | Männliches Hauspersonal, Besucher, auch geschäftlicher Art |
Zusammenfassung
Die Erinnerungsnadel zum 80. Geburtstag Kaiser Wilhelms II. (1939) ist ein einzigartiges Objekt der Ordenskunde, das die Hofkultur des Kaisers im niederländischen Exil dokumentiert.
- Historischer Kontext: Wilhelm II. pflegte in Doorn weiterhin monarchische Rituale und nutzte Auszeichnungen, um Bindungen zu festigen.
- Stiftung & Quellenlage: Die Nadel war eine persönliche Stiftung des Kaisers. Die Quellenlage ist umfangreich, aber widersprüchlich; eine formelle Stiftungsurkunde fehlt.
- Gestaltung: Eichenlaubkranz mit Krone, Monogramm „W“, Jahreszahlen 1859–1939 und römische Ziffer LXXX. Maße ca. 32,5 × 41 mm (große Varianten) bzw. 13,5 × 17 mm (kleine Varianten).
- Varianten & Etuis: Vier Typen – große Herren- und Damen-Nadeln, Brosche für Damen, Krawattennadel für Herren – jeweils mit passenden Etuis. Die Etuis waren aus Pappkonstruktion mit Samteinlage und Hersteller-Signet „Godet Berlin“.
- Herstellung & Qualität: Hauptfertiger war die Werkstatt Godet & Co. Hochwertige Verleihungsexemplare sind feuervergoldet und poliert; minderwertigere Stücke deuten auf Nachfertigungen hin.
- Sammlerperspektive: Es gibt keine gesicherten Beweise für Fälschungen, doch die Wahrscheinlichkeit gilt als gegeben. Manche Stücke zeigen grobere Verarbeitung und lassen sich leicht von anerkannten Originalen unterscheiden. Die Unsicherheit beeinflusst die Marktpreise und führt zu intensiven Diskussionen unter Sammlern.
- Verleihungspraxis:
- Hochadel und besondere Gäste erhielten die großen Nadeln.
- Hauspersonal und Bedienstete bekamen die kleinen Varianten (Brosche/Krawattennadel).
- Einzelne Exemplare wurden über die Berliner Generalverwaltung verteilt.
- Chronologie: Am 8. März 1939 wurden 95 Reststücke im Tresor von Doorn deponiert. Die letzte dokumentierte Verleihung erfolgte am 11. März 1939 an den Friseur Dürr aus Zeist.
- Tabellarische Übersicht: Varianten, Maße, Etui-Größen und Empfängergruppen sind klar dargestellt
