Kreuz der Ehrenmitglieder
Ehrenritterkreuz, Vorder- und Rückseite jeweils
gleich
Johanniter-Etui
Rechtsritterkreuz (69,5 x 45 mm) und
Bandspange zum Rechtsritterkreuz
Miniatur des
Brustkreuzes
Verleihungsurkunde zum Rechtsritterkreuz
Zweiter Erlass über die
Genehmigung der Stiftung und Verleihung von Orden und Ehrenzeichen
Vom 15. Juni 1959 (BGBl. 293)
Artikel 1
Auf Grund des § 3 Abs. 1 des
Gesetzes über Titel, Orden und Ehrenzeichen vom 26. Juli 1957 (BGBl. I S. 844)
genehmige ich die Stiftung und Verleihung der folgenden Ehrenzeichen der Balley
Brandenburg des Ritterlichen Ordens St. Johannis vom Spital zu Jerusalem,
genannt der Johanniterorden:
1. Herrenmeisterkreuz,
2. Kreuz der Ehrenmitglieder,
3. Kommendatorenkreuz,
4. Rechtsritterkreuz,
5. Ehrenritterkreuz.
Artikel 2
Ich genehmige die
Stiftungsbestimmungen und die Verleihungsbedingungen der in Artikel 1 genannten
Ehrenzeichen.
Artikel 3
Die Stiftungsbestimmungen und
die Verleihungsbedingungen der in Artikel 1 genannten Ehrenzeichen.
Artikel 4
Jede Änderung der
Stiftungsbestimmungen und der Verleihungsbedingungen der nach Artikel 1
genehmigten Ehrenzeichen und jede Änderung ihrer Form und ihrer Benennung bedarf
meiner Genehmigung.
Bonn, den 15. Juni 1959
Der Bundespräsident Theodor
Heuss
Der Bundesminister des Innern
Dr. Schröder
Beilage zum Bundesanzeiger Nr. 236 vom 9. Dezember 1959
Anlage zur Bekanntmachung des Bundesministers des Innern vom 17.
November 1959 1 A 2 - 12966 A - 334/59
Ehrenzeichen der Balley Brandenburg des Ritterlichen Ordens St. Johannis
vom Spital zu Jerusalem genannt der Johanniterorden
Herrenmeisterkreuz (Kreuz weiß emailliert, Adler und Krone golden, Band
schwarzseiden gewässert)
Kreuz der Ehrenmitglieder (Kreuz weiß emailliert, Adler schwarz, Adlerkronen
und Krone golden, Band schwarzseiden moiriert)
Kommendatorenkreuz (Kreuz weiß emailliert, Adler und Krone golden, Band
schwarzseiden gewässert)
Rechtsritterkreuz (Kreuz weiß emailliert, Adler und Krone golden, Band
schwarzseiden gewässert)
Ehrenritterkreuz (Kreuz weiß emailliert, Adler schwarz, Adlerkronen golden,
Band schwarzseiden moiriert)
Satzungen der Balley
Brandenburg des Ritterlichen Ordens St. Johannis vom Spital zu Jerusalem genannt
der Johanniterorden
In der Neufassung vom 27.6.1993
§ 1 Vorspruch
Die Balley Brandenburg des
Ritterlichen Ordens St. Johannis vom Spital zu Jerusalem – der Johanniterorden –
ist als der evangelische Zweig des alten Johanniterordens durch König Friedrich
Wilhelm IV. von Preußen auf Grund seiner durch den Westfälischen Frieden
anerkannten landesherrlichen Souveränität unter dem 15.10.1852 wiederhergestellt
worden. Durch das gleiche Dekret sind dem Johanniterorden Kooperationsrechte
verliehen worden. (Veröffentlicht: Preußische Gesetzessammlung Nr. 1 vom
15.1.1853).
§ 2 Gliederung, Sitz
Der Johanniterorden gliedert
sich in Genossenschaften und Kommenden (im folgenden nur einheitlich
„Genossenschaft“ genannt). Es bestehen z. Zt. Genossenschaften in Deutschland,
in Finnland, in Frankreich, in Österreich, in der Schweiz und in Ungarn.
Außerdem bestehen Vereinigungen in Übersee. Der Sitz des Johanniterordens ist
Bonn.
§ 3 Aufgabe des Orden
Getreu seiner christlichen,
ritterlichen Tradition verfolgt der Orden die in seiner Ordensregel festgelegten
Grundsätze. Er widmet sich mit seinen Ordenswerken insbesondere der Pflege der
Kranken, der Hilfeleistung bei Unfällen und in Notständen, der Fürsorge für
Alter uns Siechtum, der Betreuung körperlich und wirtschaftlich Schwacher sowie
der Jungend. Der Orden betreibt Krankenhäuser und Anstalten aller Art; diese
sollen in besonderem Maße der minderbemittelten Bevölkerung ihre Pflege
angedeihen lassen. Er übernimmt auch die Leitung solcher Krankenhäuser und
Anstalten, die seinem Schutz anvertraut werden und im Einklang mit seinen
Grundsätzen stehen. Der Orden bildet Schwestern und Pflegepersonal aus. In
Notzeiten widmet der Orden seine Kraft vornehmlich der Fürsorge und Pflege der
Verwundeten, Kranken und sonstigen Opfer.
Der Orden widmet sich der
Pflege und Bewahrung kultureller Güter, die in Beziehung zu seiner Tradition
stehen. Aufgabe des Ordens ist auch die Beschaffung von Mitteln für die
Erfüllung der steuerbegünstigten Zwecke anderer Körperschaften.
§ 4 Gemeinnützigkeit
Der Orden dient ausschließlich
und unmittelbar gemeinnützigen und mildtätigen Zwecken im Sinne des Abschnitts
„Steuerbegünstigte Zwecke“ der Abgabenordnung. Der Orden ist selbstlos tätig: er
verfolgt nicht in erster Linie eigenwirtschaftliche Zwecke. Die Mittel des
Ordens dürfen nur für die satzungsgemäßen Zwecke verwendet werden. Kein
Angehöriger des Ordens darf durch Vergütungen begünstigt werden, es sei denn,
dass seine Tätigkeit ihrer Art und der Sache nach eine solche rechtfertigt.
Die Mitglieder erhalten keine
Gewinnanteile.
Die Mitglieder dürfen bei
Auflösung des Johanniterordens oder bei Wegfall seines bisherigen Zweckes nicht
mehr als ihre Kapital- und Sachanlage oder deren gemeinen Wert zurückerhalten.
§ 5 Ritterpflichten
Dem Orden kann nur angehören,
wer sich an dessen christliche, ritterliche Tradition gebunden weiß und gewillt
ist, sein Leben nach der Ordenregel zu führen.
Der Johanniterorden soll sich
treu zum Bekenntnis der Evangelischen Kirche halten, das Kreuz als Zeichen
seiner Erlösung tragen, des Evangelismus von Jesus Christus sich nirgends
schämen, sondern es durch Wort und tat bezeugen, den Angriffen des Unglaubens
mutig und ritterlich im Glauben widerstehen und einen christlichen Wandel in
Gottesfurcht, Wahrheit, Gerechtigkeit und guter Sitte und Treue führen. Der
Johanniterritter soll die Verpflichtung zum Kampf gegen den Unglauben, zum
Dienst und zur Pflege der Kranken, Alten und Schwachen als Zweck des
Johanniterordens anerkennen und gegen die Feinde der Kirche Christi und gegen
die Zerstörer göttlicher und menschlicher Ordnungen überall einen guten und
ritterlichen Kampf kämpfen. Er soll nach besten Kräften die Werke des Ordens
begünstigen und fördern.
Der Johanniterritter soll die
Ehre des Orden überall wahren, sein Bestes fördern und den Oberen im Orden,
besonders dem Herrenmeister in seinem Amt, nach den Satzungen des Ordens stets
willigen Gehorsam mit aller Treue und Ehrerbietung leisten, auch in allen
Stücken und an allen Orten, daheim und öffentlich, in eigenen und fremden
Sachen, sich, wie es einem christlichen Ritter geziemt, halten und erweisen.
§ 6 Der Herrenmeister
An der Spitze des
Johanniterordens steh der Herrenmeister. Er wird vom Erweiterten Kapitel
gewählt. Er ist der gesetzliche Vertreter des Ordens und vertritt diesen
gerichtlich und außergerichtlich.
§ 7
Dem Herrenmeister steht die
Leitung des Johanniterordens zu. Er nennt den vom Erweiterten Kapitel gewählten
Ordensstatthalter (§ 8) sowie mit Zustimmung des Erweiterten Kapitels den
Ordenskanzler.
Er ernennt mit Zustimmung des
Kapitels:
1. die Kommendatoren der
Genossenschaft (§ 9),
2. die Ehrenkommendatoren und
Ehrenmitglieder (§§ 11 und 12)
3. den Ordenshauptmann (§ 13)
4. die Ordensregierung außer
dem Ordenskanzler, nämlich Ordensdekan, Ordensmeister, Ordenschatzmeister,
Generalsekretär und den Beauftragten für die Johanniter-Hilfsgemeinschaften, den
Präsidenten der Johanniter-Unfallhilfe und die Oberin der
Johanniter-Schwesternschaft und regelt deren Befugnisse (§ 14),
5. die Ritter (§ 15)
6. den Beauftragten für die
Öffentlichkeitsarbeit des Ordens.
Er ernennt die
Johanniterschwestern (§ 17).
Er beruft auf Vorschlag des
Kapitels die Stellvertreter des Ordenshauptmanns sowie die Besitzer für den
Ehrensenat und deren Stellvertreter.
Er genehmigt die Satzungen der
nicht-deutschen Genossenschaften.
Er entscheidet über die
Bestätigung der Entscheidungen des Ehrensenats
§ 8 Der Ordensstatthalter
Der Ordensstatthalter vertritt
den Herrenmeister, falls dieser rechtlich oder tatsächlich an der Ausübung
seines Amtes verhindert oder das Amt es Herrenmeister nicht besetzt ist. Der
Ordensstatthalter wird durch das Erweiterten Kapitel aus der Zahl seiner
Mitglieder gewählt und vom Herrenmeister ernannt.
§ 9 Die regierenden
Kommendatoren
An der Spitze jeder
Genossenschaft steht ein Kommendator.
Die regierenden Kommendatoren
werden auf Vorschlag der Rechtsritter der Genossenschaft durch die Rittertage
aus der Zahl der Ritter der Genossenschaft gewählt; vor der Wahl soll das
Einvernehmen mit dem Herrenmeister über die in Aussicht genommende Kandidatur
hergestellt werden.
Der Gewählte wird dem
Herrenmeister zur Ernennung vorgeschlagen. Der Herrenmeister ernennt ihn mit
Zustimmung des Kapitels.
Kommt eine gültige Wahl nicht
binnen einer angemessenen, vom Herrenmeister festzusetzenden Frist zustande, so
kann dieser nach Fühlungnahme mit dem Konvent eine vorläufige Regelung treffen.
§ 10
Aufgabe der regierenden
Kommendatoren ist die Leitung ihrer Genossenschaft.
Sie bilden innerhalb der
Genossenschaft ein Konvent. Unter dessen Mitwirkung haben sie die Oberaufsicht
über die der Genossenschaft unterstehenden Häuser und Stiftungen zu führen.
Sie sind für eine
ordnungsgemäße Rechnungsführung und Verwaltung verantwortlich.
Dem Herrenmeister und dem
Kapitel haben sie auf Verlangen über wichtige Vorgänge ihrer Genossenschaft und
über ihre Verwaltung zu berichten.
§ 11 Die Ehrenkommendatoren
Rechtsritter, die sich
besondere Verdienste im Sinne des Ordens erworben haben, können vom
Herrenmeister mit Zustimmung des Konvents zu Ehrenkommendatoren ernannt werden.
Für Rechtsritter, die unmittelbar der Balley angehören, steht das
Vorschlagsrecht dem Ordenskanzler zu.
§ 12 Die Ehrenmitglieder
Der Herrenmeister kann mit
Zustimmung des Kapitels Ehrenmitglieder ernennen.
§ 13 Der Ordenshauptmann
Der Ordenshauptmann hat sich
der Wahrung der Ehre des Ordens in besonderer Weise anzunehmen. Er berät den
Herrenmeister in allen Ehrenangelegenheiten und in Rechtsfragen. Seine Aufgaben
bei der Durchführung und Vorbereitung von Ehrenverfahren regelt die
Ehrenordnung.
Der Ordenshauptmann wird vom
Herrenmeister mit Zustimmung des Kapitels ernannt.
§ 14 Die Ordensregierung
Die Ordensregierung führt die
Geschäfte des Ordens nach den Weisungen des Herrenmeisters. An ihrer Spitze
steht der Ordenskanzler. Er führt die Oberaufsicht die der Balley unterstehenden
Häuser und Stiftungen. Die Mitglieder der Ordensregierung (§ 7 Nr. 4) stehen ihm
zur Seite zur Seite und stimmen sich mit ihm ab.
Der Ordenskanzler wird vom
Herrenmeister mit Zustimmung des Erweiterten Kapitels, die Mitglieder der
Ordensregierung werden vom Herrenmeister mit Zustimmung des Kapitels ernannt und
abberufen. Der Herrenmeister kann mit Zustimmung des Kapitels anordnen, dass zur
Ordenregierung weitere Herren gehören sollen.
§ 15
1. Die Rechtsritter
Wer sich im Sinne des Ordens
besonders bewährt hat, kann zum Rechtsritter ernannt werden. Ein Rechtsritter
soll in der Regel mindestens 40 Jahre alt sein und sieben Jahre Ehrenritter
gewesen sein. Ehrenritter, die für die Ernennung zum Rechtritter geeignet sind,
werden dem Herrenmeister durch die regierenden Kommendatoren mit Zustimmung
ihrer Konvente vorgeschlagen. Der Herrenmeister ernennt die Rechtsritter mit
Zustimmung des Kapitels. Die Ernennung wird mit dem Ritterschlag durch den
Herrenmeister wirksam, es sei denn, dass der Herrenmeister davon Befreiung
gewährt. Der Herrenmeister erteilt den Rechtsritterbrief.
2. Die Ehrenritter
Wer sich zu den in der
Ordensregel und in dieser Satzung festgelegten Pflichten bekennt, kann, wenn er
mindestens 25 Jahre alt ist, als Ehrenritter aufgenommen werden. Erscheint ein
Persönlichkeit zur Aufnahme würdig, so kann diese auch nach Befürwortung durch
zwei Bürgen (Rechtsritter, nicht nahe Verwandte) und nach Prüfung des Vorschlags
durch den Konvent vom Kommendator dem Herrenmeister zur Aufnahme vorgeschlagen
werden. Bei der Aufnahme von Herren, welche hauptamtlich im Dienst des Ordens
oder seiner Werke stehen, bedarf es zusätzlich zu der Befürwortung durch zwei
Bürgen der Zustimmung des jeweils höchsten, dem Orden angehörenden
Repräsentanten oder Verantwortlichen für das betreffende Werk.
Eine Ablehnung bedarf keiner
Begründung.
Die Ehrenritter werden mit
Zustimmung des Kapitels vom Herrenmeister ernannt. Der Herrenmeister erteilt
ihnen den Ehrenritterbreif; der Kommendator verpflichtet sie.
§ 16 Die unmittelbar der
Balley angehörenden Ordensmitglieder
Unmittelbar der Balley
angehören sollen nur solche Mitglieder, die für längere Zeit in einem Land
leben, auf dessen Gebiet der Johanniterorden keine Genossenschaft hat. Nach
endgültiger Rückkehr sollen sie in eine Genossenschaft ihrer Wahl übertreten.
Diesen Ordensmitgliedern steht
ein Kommendator vor, für den sinngemäß die Ausführungen über die regierenden
Kommendatoren gelten.
Die unmittelbar der Balley
angehörenden Ordensmitglieder geben sich eine Ordnung, die vom Herrenmeister zu
genehmigen ist.
§ 17 Die
Johanniterschwestern
Die Johanniter-Schwestern
werden auf Vorschlag des Vorstandes der Johanniter-Schwesternschaft e.V. vom
Herrenmeister ernannt. Für die Johanniter-Schwestern gilt die Satzung der
Schwesternschaft.
§ 18 Die Ordenswerke
Ordenswerke sind zur Zeit:
die Johanniter-Unfall-Hilfe
e.V., die Johanniter-Schwesternschaft e.V., die Johanniter-Hilfsgemeinschaften.
Wer im Sinne des Ordens an den
Aufgaben der Ordenwerke mitzuwirken bereit ist, kann Mitglied eines der
Ordenswerke werden.
Die Mitgliedschaft richtet sich
nach den Satzungen und Bestimmungen der Ordenswerke. Änderungen in den Satzungen
und Bestimmungen der Ordenswerke bedürfen der Zustimmung des Herrenmeisters.
Die regional zuständigen
Kommendatoren und die örtlichen Gliederungen der Ordenswerke arbeiten zusammen.
§ 19 Das Kapitel
Das Kapitel ist das oberste
Organ des Ordens. Es setzt sich zusammen aus dem Herrenmeister, dem
Ordensstatthalter, den regierenden Kommendatoren, dem Ordenshauptmann und den
Mitgliedern der Ordensregierung.
Der Herrenmeister kann
anordnen, dass regelmäßig oder für einzelne Kapitelsitzungen oder für die
Behandlung einzelner Gegenstände Mitglieder des Ordens, die nicht
Kapitelmitglieder sind, zur Teilnahme mit beratender Stimme eingeladen werden.
Das Kapitel wird vom Herrenmeister als dem Vorsitzenden berufen und geleitet. Es
beschließt nach Stimmenmehrheit der anwesenden stimmberechtigten Mitglieder; bei
Stimmengleichheit entscheidet die Stimme des Herrenmeisters.
Bei Behinderung des
Herrenmeisters und während einer Sedivakanz vertritt der Statthalter den
Herrenmeister. Für den Fall gleichzeitiger Verhinderung des Herrenmeisters und
des Statthalters wird durch den Ordenskanzler, der das Erweiterte Kapitel
einberuft, die Leitung des Ordens wahrgenommen. Gegebenenfalls ist zunächst ein
neuer Statthalter zu wählen.
§ 20 Zuständigkeit
Das Kapitel beröt und
beschließt über alle das Leben des Ordens bestimmenden Fragen. Es hat
insbesondere
a) über die Ernennung der
regierenden Kommendatoren, der Ehrenkommendatoren, der Ehrenmitglieder, des
Ordenshauptmanns, und der Mitglieder der Ordensregierung Beschluss zu fassen,
b) die Liste der zu Rechts- und
Ehrenrittern vorgeschlagenen Personen zu prüfen und festzustellen,
c) die Stellvertreter des
Ordenshauptmanns sowie die Beisitzer für den Ehrensenat und deren Stellvertreter
vorzuschlagen (§ 2 der Ehrenordnung),
d) eingereichte Vorschläge zu
begutachten und darüber zu entscheiden,
f) die Rechnungslegung und die
Voranschläge der Ordensregierung zu genehmigen und Entlastung zu erteilen,
g) von Entscheidungen des
Ehrensenates durch Vortrag des Ordenshauptmanns Kenntnis zu nehmen.
h) Es kann nach Maßgabe des §
31 Ordensmitglieder aus dem Orden ausschließen.
Die Beschlüsse des Kapitels
erhalten Rechtskraft mit ihrer Bestätigung durch den Herrenmeister.
§ 21 Das erweiterte Kapitel
Für die Entscheidung besonders
wichtiger Fragen wird das Kapitel erweitert um die ehemals regierenden
Kommendatoren und um die Ehrenkommendatoren. Ob eine Frage besonders wichtig
ist, entscheidet der Herrenmeister. Auf jeden Fall ist das erweiterte Kapitel
zuständig
a) für die Wahl des
Herrenmeistern und des Ordensstatthalters,
b) für die Beschlussfassung
über die Ernennung des Ordenskanzlers,
c) für Satzungsänderungen,
d) für die Auflösung des Ordens
und die Entscheidung über die Verwendung des Ordensvermögens bei einer
Auflösung,
e) für die Aufhebung solcher
Kapitelbeschlüsse, die nach der Entscheidung des Herrenmeisters wichtige Fragen
betreffen.
§ 22 Verfahren
Das Kapitel tritt in der Regel
jährlich zweimal, davon einmal möglichst am Tage St. Johannis des Täufers
zusammen und wird sonst nach bedarf berufen. Das weitere Kapitel ist einmal im
Jahr einzuberufen.
Alle Abstimmungen im Kapitel
erfolgen mündlich. Ausnahmenbedürfen der Genehmigung des Herrenmeisters.
Ein regierender Kommendator
kann sich im Kapitel durch einen Kommendator oder Ehrenkommendator vertreten
lassen. Eine anderweitige Vertretung bedarf der Genehmigung des Herrenmeisters.
Der Ordenshauptmann kann sich
durch einen seiner Stellvertreter (§ 2 Abs. 4 der Ehrenordnung) vertreten
lassen.
Jeder Kapitelsitzung soll ein
Gottesdienst vorangehen.
§ 23 Notkapitel
In außerordentlichen und
besonderen dringlichen Notfällen können vier vom Herrenmeister zu bestimmende
regierende Kommendatoen das Kapitel vertreten; doch sind deren Beschlüsse
allemal dem nächstfolgenden Kapitel vorzulegen.
§ 24 Mitarbeit in den
Genossenschaften
Ordensmitglieder, die außerhalb
des regionalen Bereiches ihrer eigenen Genossenschaft wohnen, müssen sich bei
dem Kommendator der regional zuständigen Genossenschaft melden; sie sollen von
diesem zur Mitarbeit im Orden und seinen Werken herangezogen werden. An den
Rittertagen der regionalen Genossenschaft nehmen sie mit beratender Stimme teil.
§ 25 Subkommenden
Wohnen in einem überschaubaren
Bereich Ordensmitglieder in genügender Anzahl, so sollen sie, welcher
Genossenschaft sie auch angehören mögen, von dem Kommendator der regional
zuständigen Genossenschaft zu einer Subkommende zusammengeschlossen werden. Der
Leiter der Subkommende wird durch den Kommendator der regional zuständigen
Genossenschaft bestimmt.
Die Subkommenden sollen dem
Orden und seinen Werken dienen, den Zusammenhalt unter den Mitgliedern pflegen
und diese zur Mitarbeit im Sinne des Ordens heranziehen. Das Leben in den
Subkommenden ist von dem regional zuständigen Kommendator, der die Aufsicht über
sie ausübt, zu fördern.
§ 26 Mitteilungsblatt,
Zeitschrift
Das amtliche Mitteilungsblatt
des Ordens sind die "Bekanntmachungen für die Mitglieder des Johanniterordens".
Anordnungen des Herrenmeisters
und Beschlüsse des Kapitels, deren Wirksamkeit gegenüber den einzelnen
Ordensmitgliedern davon abhängt, dass sie von ihnen in Kenntnis erhalten, werden
spätestens mit der Veröffentlichung in diesem Blatt den Ordensmitgliedern
gegenüber wirksam.
Außerdem gibt der Orden die
Zeitschrift "Johanniter-Orden" heraus.
§ 27 Ehrenzeichen
Der Johanniterorden hat
folgende Ehrenzeichen:
a) Das Herrenmeisterkreuz,
b) das Kreuz der
Ehrenmitglieder,
c) das Kommendatorenkreuz,
d) das Rechtsritterkreuz,
e) das Ehrenritterkreuz.
Das Herrenmeisterkreuz verleiht
das Kapitel dem Herrenmeister bei der Investitur.
Die anderen Ehrenzeichen
verleiht – mit Zustimmung des Kapitels – der Herrenmeister für den besonderen
und aufopfernden Einsatz im Sinne des § 3 der Satzung genannten Ziele des
Ordens.
Die Ehrenzeichen werden nicht
vor Vollendung des 35. Lebensjahres und bei Mitgliedern erst nach 5jähriger
Mitgliedschaft verliehen.
Form und Trageweise der
Ehrenzeichen werden von Kapitel angeordnet.
Die Ehrenzeichen sind
zurückzugeben, wenn ein Ordensmitglied verstorben ist. Ordensmitglieder, die aus
dem Orden austreten, verzichten damit auf die ihnen verliehenen Ehrenzeichen und
haben diese zusammen mit der Verleihungsurkunde unaufgefordert alsbald dem
Ordensbüro zurückzusenden. Erweist sich ein mit einem Ehrenzeichen des
Johanniterordens Beliehener durch sein Verhalten, insbesondere durch Begehen
einer entehrenden Straftat der verliehenen Auszeichnungen unwürdig, oder wird
ein solches Verhalten nachträglich bekannt, so kann ihm der Herrenmeister die
Auszeichnung entziehen und die Einziehung der Verleihungsurkunde anordnen. Gegen
diese Verfügung kann der Betroffene das Kapitel anrufen.
§ 28 Beiträge
Jedes Ordensmitglied zahlt
einen laufenden Beitrag, der zu Beginn des Kalenderjahres fällig ist. Die Höhe
des Beitrages wird durch die Genossenschaften, bei Ordensmitgliedern, die
unmittelbar der Balley Brandenburg angehören, durch die Ordensregierung
festgesetzt. Alle jährlichen laufenden Beiträge derjenigen Ordensmitglieder,
welche unmittelbar der Balley angehören, sowie aus besonderem Anlass gegebene
und nicht ausdrücklich für die Genossenschaft bestimmten Spenden fließen in die
Balleykasse. Die Genossenschaften führen einen vom Kapitel festzusetzenden
Beitrag an die Balleykasse ab.
§ 29 Ehrenordnung
Die einer deutschen
Genossenschaft angehörenden oder unmittelbar der Balley unterstehenden
Ordensmitglieder deutscher Staatsangehörigkeit sind der "Ehrenordnung des
Johanniterordens" unterworfen.
§ 30 Ausscheiden aus dem
Orden
Wer freiwillig aus dem Orden
austreten will, hat in Erfüllung der Ritterpflicht dazu die Genehmigung des
Herrenmeisters zu erbitten. Erklärt ein Mitglied seinen Austritt ohne die
Genehmigung des Herrenmeisters, so wird der Austritt erst nach Ablauf eines
Jahres wirksam. Diese Jahresfrist beginnt mit dem Ende des Jahres, in dessen
Ablauf der Austritt erklärt wird.
§ 31 Ausschluss
Unbeschadet des in der
Ehrenordnung geregelten Verfahrens kann das Kapitel ein Ordensmitglied aus dem
Orden ausschließen:
a) wenn es trotz Aufforderung
nicht die ihm nach der Satzung des Johanniter-Ordens obliegenden Pflichten
erfüllt,
b) wenn es offenkundig den
Ritterpflichten (§ 5) zuwider gehandelt hat.
Vor einem Beschluss ist den
Betroffenen innerhalb einer vom Herrenmeister festzulegenden Frist die
Gelegenheit zur Äußerung zu geben.
§ 32 Satzungsrecht
nichtdeutscher Genossenschaften
Soweit diese Satzung und
Kapitelbeschlüsse mit den vom Herrenmeister genehmigten Satzungen einer
nichtdeutschen Genossenschaft nicht im Einklang stehen, sind die nichtdeutschen
Genossenschaften nicht gebunden. Das gleiche gilt, soweit die Rechtsordnung,
unter der die nichtdeutschen Genossenschaften leben, der Geltung dieser Satzung
entgegensteht.
§ 33 Auflösung
Im Falle des Erlöschens oder
bei Aufhebung des Johanniterordens oder beim Wegfall der bisherigen Zwecke des
Johanniterordens wird das vorhandene Vermögen, soweit die Steuergesetze keine
Einschränkung vorsehen, nach näherer Bestimmung eines Beschlusses des
erweiterten Ordenskapitels für gemeinnützige, mildtätige oder kirchliche Zwecke
im Sinne der §§ 17 bis 19 des Steueranpassungsgesetzes verwendet.
Beschlüsse darüber, wie das
Vermögen bei Auflösung oder Aufhebung des Orden oder bei Wegfall seines
bisherigen Zweckes zu verwenden ist, werden erst nach Einwilligung des
Finanzamtes rechtswirksam.
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O & E
Geschichtlicher Abriss des
Johanniterordens
In dem
ersten halben Jahrhundert seines Bestehens wurde der Johanniter-Orden von dem
romantischen Rittertum getragen. In Deutschland, wo man wohl noch unter dem
Eindruck des Investiturstreites stand und sein Interesse den wechselnden
Parteiungen schenkte, die durch den Übergang der Herrschergewalt von Heinrich V.
auf Lothar von Supplingenburg und dann auf Konrad III. entstanden, wurde der
Orden erst durch den Zweiten Kreuzzug bekannt. Viele deutsche Ritter lernten die
segensreiche Tätigkeit des Ordens bei diesem Kreuzzug oder bei einer Pilgerfahrt
kennen und waren bereit, durch Schenkungen dieses karitative Werk zu
unterstützen. So stiftete Albrecht der Bär, der 1260 von einer Pilgerfahrt aus
dem Heiligen Land zurückgekehrt war, zum Gedenken an seine verstorbene Gattin im
gleichen Jahre eine Kirche mit sechs magdeburgischen Hufen zu Werben an der Elbe
(Neumark) dem Johanniter-Orden, dessen Wirken er im Heiligen Land hatte
bewundern können. Bereits 1158 hatte Kaiser Friedrich Barbarossa den
Johanniter-Orden in seinen persönlichen Schutz genommen, was im Zusammenhang mit
seinen Kreuzzugsplänen stand. In dieser Zeit gründete der König von Böhmen in
Prag ein Johanniterhospital mit einer Pflegschaft, das die Keimzelle der
Ordensbesitzungen in Böhmen wurde. Im Deutschen Reich entstanden im 12.
Jahrhundert eine Reihe von Niederlassungen, die bald auch verwaltungsmäßig
gegliedert wurden. So kennen wir bereits aus dem Jahre 1187 einen Arlebold als
Prior von Deutschland; das Großpriorat Deutschland wurde allerdings erst um die
Mitte des 13. Jahrhunderts ins Leben gerufen, denn als erster Großprior lässt
sich für die Zeit von 1249 -1252 ein Frater Clemens nachweisen.
Eine weitere
selbständige Gruppe entstand in Mähren, und für Schlesien ein örtliches
Meisteramt, das für 1238 bezeugt ist, während im Jahre 1251 ein Prior Gelold von
Polen vorkommt und ein Meister Theodor des Hospitals zu Posen auf dem
Johanniterkonvent in Köln tagt. Um die Mitte des 13. Jahrhunderts ist ein Prior
für Oberdeutschland und ein weiterer für Niederdeutschland im Amt. Diese
Amtsstellen und ferner noch die für Lokalwürden wollten vom Orden besetzt sein,
denn Schenkungen bedeuteten nicht nur Einkünfte, sondern auch Aufgaben, da der
Orden sich um seine Erträge kümmern musste. Die Amtsbezeichnungen wechseln und
wurden wohl nur an die jeweiligen Aufträge gebunden; so hören wir 1251 von einem
Viceprior in inferioribus partibus Alemanniae Ordinis Beati Johannis und 1271
von einem Vicepräzeptor in Sachsen und Wendenland - ein Titel, der offenbar bis
zum Jahre 1312 in Niederdeutschland nicht weiter gebräuchlich war.
Der Orden
wuchs langsam in Deutschland, aber eine irgendwo erkennbare Behinderung durch
andere konkurrierende geistliche Ritterorden ist nur vereinzelt nachweisbar. Der
Deutsche Orden ist erst 1198 zu einem Ritterorden erhoben worden und musste in
den Jahrzehnten danach auf das schwerste um seine Stellung im Heiligen Lande, in
Ungarn und Preußen ringen. Jedenfalls ist hierin nicht der Grund zu sehen,
weshalb die Johanniter damals in Norddeutschland nur verhältnismäßig
unbedeutende Streubesitzungen innehatten. Die hauptsächliche Wirksamkeit dieses
Ordens lag bis zum Fall von Akkon (1291) noch im Heiligen Lande, danach in der
Abwehr der Türken auf Cypern und Rhodos. Man wird diese Hauptaufgabe im Auge
behalten müssen, um den richtigen Blickpunkt für die Beurteilung der Leistungen,
Möglichkeiten und Grenzen der Johanniter-Ballei Brandenburg einzunehmen.
In
Niederdeutschland hatte sich an die erste Stiftung im Jahre 1171 ein Johannishof
bei Braunschweig angeschlossen. Um 12oo verliehen die Pommerellenfürsten in
Stargard die Johanniskirche dem Orden, bald danach die ganze Ortschaft und auch
Schöneck. Anfang des -13. Jahrhunderts sind Schenkungen in Mecklenburg und
Niedersachsen zu verzeichnen. Neben Werben entstand so die zweite Kommende
Mirow. Auch sind auf Grund von Zuwendungen des Markgrafen Albrecht von
Brandenburg 1298 die dritte Kommende Nemerow und ihre Kirche (Stifter war Ulrich
Schwabe), Schlawe und später drei weitere Kommenden in Pommerellen dem Orden
zugute gekommen. Das alles bleibt landwirtschaftlich benutzter Streubesitz mit
mannigfachen Veränderungen, Schenkungen, Zuwendungen, Übertragung, Verleihung
und Heimfall. Der entscheidende Durchbruch erfolgt erst nach 1312, als Papst
Clemens V. dem reichbegüterten Templerorden den Prozess machte, ihn verbot und
von den weltlichen Gewalten verfolgen ließ. Dies geschah auch in
Norddeutschland. Durch päpstliche Entscheidung sollten die Güter des
Templerordens dem Johanniterorden zufallen; das ist praktisch nicht immer
sogleich durchführbar gewesen. Im Laufe der -1. Hälfte des 14. Jahrhunderts
konnten Templergüter in Pommern, u. a. Bahn, und Lagow (Nm.), in Braunschweig
auch Supplingenburg für den Johanniterorden gewonnen werden. Aber in der Mark
Brandenburg hat er nur langsam und in zähem Ringen mit den Nachfolgern der
Askanier den früheren Templerbesitz an sich bringen können. Das geschah 1318 im
Vertrag zu Cremmen mit dem vorletzten Askanier Markgraf Waldemar von
Brandenburg. Seitdem gewann der Johanniterorden in Norddeutschland seine
selbständige Bedeutung. Die Gebiete Sachsen, Mark und Wendland,, das bedeutet
die späteren Länder Brandenburg, Mecklenburg, Braunschweig und Pommern, wurden
einem Generalpräzeptor des Johanniterordens unterstellt, der in den deutschen
Urkunden als Meister des Ordens oder aus der Anrede „Herr Meister' als
Herrenmeister erscheint. Seit dieser Zeit haben die Markgrafen von Brandenburg
landesherrliche Rechte über den Johanniterorden ausgeübt, die sich auch auf die
folgenden Wittelsbacher und Hohenzollern fortpflanzten. Im Sommer 1415 nach der
Verleihung der Kurwürde an Friedrich v. Zollern, den Markgrafen von Brandenburg
und Burggrafen von Nürnberg, hat König Sigismund den Johannitermeister
angewiesen, dem Markgrafen von Brandenburg zu huldigen.
Innerhalb
der Reihe der Kommenden haben die Einzelbesitzungen in ihrer Bedeutung
geschwankt. In jedem Falle hat Werben seine ursprüngliche Stellung nicht mehr
lange halten können. Der Herrenmeister hat sich anscheinend auch nicht mehr auf
eine bestimmte Kommende gestützt. Der Großprior schließlich bereiste die
einzelnen Besitzungen, ohne sich an eine unter ihnen besonders zu binden. Über
Kapitelsitzungen, an denen die Ballei beteiligt war, fehlen uns Nachrichten,
doch haben solche zweifelsohne stattgefunden.
Die
Johanniter in Norddeutschland haben als eine adlige Genossenschaft zu ihrer Zeit
neben den geistlichen Verrichtungen durch Ordenspriester im Gottesdienst und dem
Sozialwerk im Stile des Mittelalters die Kultivierung ihrer Güter betrieben und
wirkten mit praktischem Beispiel zugunsten ihres weltlichen Landesherren, dem
sie auch zur Heerfolge verpflichtet waren. In seinem Wirken in Norddeutschland
kommt der geistliche und karitative Zug des Johanniterordens deutlicher als
anderswo zur Geltung. Die Johanniterballei Brandenburg, die sich im Vergleich zu
Heimbach am 11. Juni 1382 dem Großpriorat Deutschland gegenüber eine ziemlich
unabhängige Stellung sichern konnte, indem sie unter anderem die Kommendatoren
selbst ernennen durfte, hatte sich der Ordensspitze gegenüber mehr und mehr
verselbständigt, ein Vorgang, der mit dem zunehmenden Ausbau der
Territorialstaaten auch den Orden im ausgehenden 14. und im 15. Jahrhundert
betreffen musste. Eine parallele Entwicklung machten die Balleien des Deutschen
Ordens durch, mit dem die Johanniter ohnehin in Norddeutschland mancherlei
Berührungspunkte hatten.
Die Anfänge
des Deutschen Ritterordens sind mit den Johannitern auf das engste verknüpft.
Das Deutsche Haus in Jerusalem unterstand der Aufsicht des
Johanniter-Großmeisters, und als es zu einem ritterlichen Orden erweitert wurde,
da wurde für die Armen- und Krankenpflege die Johanniterregel übernommen. In
kaiserlichen Verleihungen zugunsten des Deutschen Ordens treten Johanniter als
Zeugen auf, so 1231 der Johanniter-Landmeister von Apulien. Als die deutschen
Johanniter wegen ihres zweiten Romzuges (1369) mit Kaiser Karl IV. eine große
Schuldenlast auf sich genommen hatten, verkauften sie Güter in Pommellen
(Schöneck und Wartenberg) an den Deutschen Orden (1370). Bald danach brachen
Streitigkeiten an der Kurie, vor allem aber in der Neumark zwischen den beiden
Orden aus, die in der gegenseitigen Wegnahme der Häuser Zantoch und Quartschen
gipfelten und die Johanniter zusammen mit Polen und Hussiten gegen die
Deutschritter Stellung nehmen ließen. Diese unerfreulichen Zustände wurden im
Marienburger Vertrag von 1435 unter Vermittlung von Kaiser Sigismund, Markgraf
Johann von Brandenburg und Herzog Friedrich von Meißen beendet. Die Tatsache,
dass ein geistlicher und drei weltliche Fürsten in einer Urkunde mit dem
Johanniterorden in Brandenburg genannt sind, zeigt an, welche Bedeutung ihm als
Territorialmacht in Norddeutschland beigelegt wurde. Seitdem herrschte ein immer
engeres Einvernehmen zwischen den einst konkurrierenden Orden, das noch fester
wurde, je mehr die Machtstellung der geistlichen Korporationen im
Konzilsjahrhundert dahinzuschwinden begann. 1423 wurde das Deutschordenshaus in
Spanien gegen Johanniterbesitzungen in Deutschland getauscht, etwa 3o Jahre
später kam es zum Tausch von Deutschordenbesitzungen in Italien und Griechenland
gegen Johannitergüter in Deutschland: Der Deutsche Orden gab seinen Randbesitz
zugunsten der näher gelegenen Ländereien auf, während die Johanniter nach wie
vor in den Mittelmeerländern begütert blieben.
Während der
Johanniterorden weiterhin an seine alte Aufgabenstellung und an den bisherigen
Schauplatz seiner Geschichte hauptsächlich gebunden blieb, hatte seine Ballei in
Norddeutschland ihren Besitzstand halten und gegenüber der Ordensspitze betont
zur Geltung bringen können. Die Verselbständigung der Ballei Brandenburg steht
im Zusammenhang mit einer Persönlichkeit, die aus dem sonstigen Dunkel der
spärlichen Überlieferung etwas deutlicher in das Licht der Zeugnisse gerückt
werden kann. Ein braunschweigscher Landedelmann aus der Gegend um die mächtige
Reichsstadt Goslar, Gebhard von Bortfelde, wurde 1318, etwa 3o Jahre alt,
Johanniterkommendator von Braunschweig und Goslar, wurde zwei Jahre später
Vizemeister mit Befugnissen über Ordensbesitzungen in Pommern, Thüringen,
Brandenburg und im Wendland. 1327 urkundete er als Generalpräzeptor, als
Herrenmeister des Johanniterordens für das nordöstliche Deutschland, und zwei
Jahre danach erhielt er von Kaiser Ludwig dem Bayern den Schild der Reichsäbte.
Damit war das Herrenmeistertum der Johanniter in Brandenburg begründet; es
bedurfte freilich der Zeit, um den Konvent und das Großpriorat an die neue
Sachlage zu gewöhnen. Auf Gebhard von Bortfelde folgte spätestens 1337 als
Herrenmeister Hermann von Wereberge, der die Kommenden Nemerow und Werben
zusammenlegte, während der Bortfelder die von den Templern übernommene, neu
eingerichtete Kommende Tempelburg als Alterssitz erhielt.
Für den
Gesamtorden wurde es immer schwieriger, die Ordensbesitzungen über große
Entfernungen zusammenzuhalten und die mit ihren örtlichen Aufgaben beschäftigten
Lokalgebietiger zur strikten Befolgung der zentralen Anweisungen und zur
regelmäßigen Entrichtung der Abgaben zu veranlassen. Beide Gesichtspunkte ließen
sich begründen, waren aber kaum mehr von höherer Warte aus in Obereinstimmung zu
bringen. Die politische Situation in Deutschland war allgemein dadurch
gekennzeichnet, dass vom Ende des 14. Jahrhunderts an zunehmend die mittleren
Territorialfürsten mehr oder minder rücksichtslos ihr Herrschaftsgebiet über
Städte und Vasallen auszudehnen begannen. Dieses Vorgehen zwang die
Johanniterkomture, auf die örtlichen Gegebenheiten Rücksicht zu nehmen, zumal
der Rechtsbeistand seitens des Ordens nicht rasch und wirksam erfolgen konnte.
Durch geschicktes Lavieren galt es, wirtschaftliche Einbußen zu vermeiden; die
Folge war fast notwendig, dass das Zusammengehörigkeitsgefühl mit der
Ordensleitung in Rhodos sich lockerte, zumal der Orden nur zu fordern pflegte,
und das Bewusstsein einer gemeinschaftlichen Aufgabe längst im Schwinden
begriffen war. Die Johanniterballei Brandenburg musste somit als Außenposten
gelten, ja die Zugehörigkeit zur deutschen Zunge schien gefährdet. Der Balleier
von Brandenburg suchte durch Güterzusammenlegung und Austausch seine Stellung
dem Landesherrn gegenüber zu festigen, was durch das reiche Erbe der Templer
begünstigt werden konnte. Aber dessen Verausgabung hatte sich eben der Markgraf
vorbehalten, und die Ballei Brandenburg hat ihm, um überhaupt die ihr
päpstlicherseits zugesprochenen früheren Templerbesitzungen zu erlangen,
weitgehende Zugeständnisse machen müssen, was mit dem Vertrag von Cremmen (1318)
erst eigentlich anfing. Kam es so zu Zerwürfnissen und Entfremdungen mit dem
Großpriorat Deutschland, so hatte dieses doch wiederum ein Druckmittel an der
Hand, um die Ballei gefügig zu machen. Wie erwähnt, war der verschuldete Orden
zum Güterverkauf genötigt. Das Großpriorat drohte, die brandenburgischen
Johannitergüter zu veräußern, wenn die Ballei sich nicht wieder einordne. So kam
es zum Heimbacher Vergleich vom 11. Juni 1382. Der weitere Verkauf von
Ordensgütern wurde untersagt, die Ballei trat in den Gehorsam zum Großpriorat
zurück, ließ ihre Amtsträger vom Großprior bestätigen, räumte ihm auch wieder
das Visitationsrecht ein. Dennoch blieb die Ballei in einer verhältnismäßig
selbständigen Stellung; das Herrenmeistertum war anerkannt, und die Wahl der
Komture wurde von der Ballei schließlich wieder selbst vorgenommen, unbekümmert
um das Bestätigungsrecht des Großpriors.
Dafür gab es
bald andere Sorgen, wogegen die brandenburgischen Johanniter gern einen Rückhalt
gehabt hätten. Am Ende des 14. Jahrhunderts verfiel die Mark in anhaltende
Unruhen, in deren Verlauf die Bürger der Stadt Bahn den Herrenmeister
Detlev von
Walwede 1399 gefangen nahmen und enthaupteten, den Kommendator von Rohr vom
Kirchturm herabstürzten. So wurde es nur begrüßt, als 1411 Friedrich von
Zollern, Burggraf von Nürnberg, mit der Mark belehnt wurde und die Ordnung
wiederherstellte; die Johanniter haben dabei nach Kräften geholfen und waren auf
Zusammenarbeit mit der sich wieder befestigenden Landeshoheit der Hohenzollern
angewiesen. Der Markgraf kam ihnen gleichfalls entgegen und ermöglichte ihnen
den Kauf von Schloss und Stadt Sonnenburg; die Kommende Schwiebus wurde neu
errichtet, dafür Splitterbesitz abgestoßen.
Gestützt auf
den energischen Landesfürsten, dem der Herrenmeister 1415 gehuldigt hatte, und
mit dem neuen Ordensmittelpunkt in den Marken, Schloss Sonnenburg, hatte der
Herrenmeister eine Stellung, die der eines Territorialherren glich. Die
Entfremdung von der übrigen deutschen Zunge war so weit gediehen, dass von dem
Großprior eine Aufhebung der Ballei Brandenburg angestrebt und zuletzt ein
Gegenherrenmeister eingesetzt wurde. Das blieb angesichts des verfestigten
Zustandes in der Mark ohne Wirkung. In der Besitzbestätigungsurkunde des
Kurfürsten Friedrich II. des Eisernen vom Jahre 1460 werden 70 Städte, Dörfer
und Güter des Johanniterordens in Brandenburg aufgezählt.
Das war noch
die Lage der Ballei bei Ausbruch der Reformation. Einen Streifzug des
Herrenmeisters im Jahre 1527 gegen das von Polen beanspruchte Schloss Meseritz
musste Kurfürst Joachim I. aus politischen Rücksichten abbrechen und verlangte,
dass die Johanniter zurückwichen. Infolge der Erbteilung in Brandenburg, die
1535 dem Markgrafen Johann von Küstrin die Neumark überließ, erhielten die
Johanniter in Norddeutschland diesen Fürsten als ihren Patron. Ein sparsamer,
nüchterner Haushälter, war Markgraf Hans nicht kurzsichtig in der Erringung
seiner Vorteile. Eine Einverleibung des Johanniterordens lehnte er schon deshalb
ab, weil ihm am besten damit gedient war, wenn der Ordensbesitz ungeschmälert
blieb. So konnte er den Herrenmeister als seinen reichsten Vasallen ansehen, der
auch außerhalb des Küstriner Landes gelegene Ordensbesitzungen sich und seinem
Landesherrn zu nutzen verstand. Interner Austausch und Gebietsabrundungen waren
dabei nicht ausgeschlossen, so wurde 1540 dem Markgrafen die Johanniterbesitzung
Quartschen gegen Schivelbein überlassen, das zu einer neuen Kommende
eingerichtet wurde, deren Besetzungsrecht sich der Landesfürst zugunsten der
Johanniter vorbehielt. Die Abhängigkeit von den Territorialherren kam auch in
der Stellung der Ballei zur Reformation zum Ausdruck. 1538 war der Markgraf zur
lutherischen Lehre übergetreten, dasselbe geschah in einigen
Johanniterkommenden, zuerst in Mecklenburg. Weit nach außen sichtbar wurde der
Anschluss an die neue Lehre durch die Heirat zweier Komture im Jahre 1544. Der
Einspruch des Großpriorats Deutschland hiergegen machte die Johanniter in der
Mark, die bald alle evangelisch wurden, völlig von den Landesfürsten abhängig.
Der Markgraf erledigte damals selbst die Ordenssachen namens des Herrenmeisters,
dieser blieb auf die Verwaltung beschränkt. Anlässlich eines im Jahre 1550
gehaltenen Kapitels ist eine Zustandsschilderung der Ballei überliefert, wonach
sich auf den Kommenden etwa zwei bis drei Brüder befunden haben, die die
Haushaltung und Ackerbestellung durchführten. Alle zwei bis drei Jahre waren
diese Häuser zu visitieren, am 24. Juni sollte jährlich die Geldleistung der
Kommenden nach Sonnenburg abgeführt werden. Eine ganz besonders enge Bindung des
Ordens an seine Person versprach sich Markgraf Hans davon, dass er seinen
betagten Kanzler, den ihm ergebenen und erfahrenen Juristen Franz Naumann, zum
Johanniterkommendator von Schivelbein machte und ihn 1564 zum Herrenmeister
wählen ließ. Aber dieser nahm seine Ordenspflichten genauer, als es dem
Markgrafen lieb war; schließlich musste Naumann vor den Nachstellungen seines
Herrn nach Prag fliehen. Die umstrittenen Ordensgüter Friedland und Schenkendorf
in der Niederlausitz verblieben jedoch, trotz wiederholter habsburgischer, z. T.
über das Großpriorat Böhmen vorgebrachter Ansprüche, dem Orden bis zur
Aufhebung. Immer schwieriger wurde es für die Johanniter, die außerhalb der Mark
gelegenen Kommenden zu behaupten. 1544 wurde die Komturei Zachan, die sich seit
1318 im Besitz des Ordens befand, an Herzog Barnim von Pommern verkauft. Im
Braunschweigschen konnte man die Kommende dadurch halten, dass sie abwechselnd
von dem Herrenmeister und von Angehörigen des braunschweigschen Herzogshauses
verwaltet wurde. In Mecklenburg blieb nichts anderes übrig, als die reiche
Kommende Mirow 1593 nacheinander fünf Schweriner Herzögen zu überlassen, die
jedoch dem Orden verpflichtet sein sollten. Schließlich hat sich das Haus
Brandenburg seit der Koadjutorenwahl von 1594 das Herrenmeistertum selbst
gesichert. Den Bedenken des Großpriors zu Heitersheim wurde entgegengehalten,
dass sich der Johanniterorden durch die Anlehnung an ein mächtiges Fürstenhaus
nur desto besser in den unruhigen Zeiten würde halten können.
Unter der
Regierung des Kurfürsten Johann Sigismund wurde sein 1616 zum Herrenmeister
gewählter Sohn Johann Georg vom Kaiser Rudolf II. mit dem Herzogtum Jägerndorf
in Schlesien belehnt, das nach Aussterben der Brandenburg-fränkischen Linie an
die Kurmark gefallen war. Der Herrenmeister, der in Schlesien für die
reformierte Lehre eintrat, verlor dabei Oderberg und Beuthen; als er sich am
böhmischen Aufstand und 1620 an der Schlacht am Weißen Berge beteiligt hatte,
gab er Habsburg den erwünschten Grund, das Herzogtum Jägerndorf ihm zu
entziehen. Bevor aber Johann Georg als Herrenmeister abgesetzt werden sollte,
ereilte ihn der Tod. Kurfürst Georg Wilhelm, dessen Land im Dreißigjährigen
Kriege in arge Bedrängnis geriet, unterbrach die Reihe der Hohenzollernschen
Herrenmeister und machte seinen Staatsminister Graf Adam von Schwarzenberg zum
Oberhaupt der Johanniterballei Brandenburg. Obwohl katholischer Konfession,
zeigte er Toleranz und beließ getreu seinem Wahlversprechen den ihm
unterstehenden Teil des Ordens in seiner bisherigen Verfassung. Die Anmeldung
seiner Wahl in Heitersheim (was seine Vorgänger nicht getan hatten) wurde dort
sehr günstig, zugleich aber mit der Forderung zur Zahlung der Abgaben,
aufgenommen. 1640 bestimmte Schwarzenberg, der oft zu Unrecht sehr negativ
beurteilt wird, seinen Sohn zum Koadjutor und erhielt dafür auch die Zustimmung
des Großpriors. Aber Friedrich Wilhelm, der Große Kurfürst, der im Todesjahr
Schwarzenbergs die Regierung antrat, wollte von einer solchen Besetzung des
Herrenmeistertums nichts wissen. Zunächst brachte der Westfälische Friede 1648
der Ballei Brandenburg erhebliche Einbußen: die mecklenburgischen Kommenden
Mirow und Nemerow gingen verloren, das pommersche Wildenbruch fiel an Schweden;
als es 1679 zurückgegeben wurde, kam die Kommende nicht mehr an den Orden.
Zahlreiche Ordenshäuser und Ländereien waren durch die Kriegsfolgen verwüstet,
der Personalbestand des Ordens hatte sich weiter verringert. Doch bestätigte der
Artikel XII § 3 des Friedens von Osnabrück ausdrücklich das Patronatsrecht des
Kurfürsten von Brandenburg über den Johanniterorden (und zwar ohne regionale
Einschränkung!). Der Kurfürst selbst lehnte die ihm angebotene Würde des
Herrenmeisters ab, stattdessen ernannte er nach elfjähriger Vakanz im Jahre 1652
zu diesem Amt den Fürsten zu Nassau-Siegen, Johann Moritz, genannt Americanus
oder auch „Der Brasilianer", einen vielerfahrenen Kriegsmann und Organisator,
der, in seiner Eigenschaft als Herrenmeister zum Reichsfürsten erhoben, aus den
Kommenden Musterwirtschaften machte.
In den
letzten Jahren der kurfürstlichen Regierung war das Herrenmeistertum wiederum
zehn Jahre lang nicht besetzt, bis es Georg Friedrich Fürst zu Waldeck erhielt.
Nach dessen Tod sind nacheinander die Söhne des Großen Kurfürsten aus zweiter
Ehe, Carl und Albrecht von Brandenburg, zu Herrenmeistern gewählt worden.
Seitdem hat sich lückenlos die Reihe der Hohenzollernprinzen als Herrenmeister
der Ballei Brandenburg
fortgesetzt,
eingeleitet mit prächtigem Zeremoniell des prunkfreudigen Friedrichs III. Als
dieser die preußische Königswürde erwarb, verlieh er zu Königsberg den neu
gestifteten Orden vom Schwarzen Adler als erstem dem Johanniterherrenmeister.
Das 1676 errichtete Leibregiment der Kurfürstin wurde 1689 dem Markgrafen Carl
verliehen und erhielt neue Fahnen, die auf purpurrotem Grunde ein weißes
Johanniterkreuz und auf dessen Querbalken den verschlungenen goldenen Namenszug
MC zeigten, über dem Kreuz ein Fürstenhut, das Ganze von zwei großen goldenen
Palmenzweigen umgeben. Ähnlich wird das 1702 errichtete Infanterieregiment
Markgraf Albrecht (preuß. Nr. 19) rote Fahnen mit dem Johanniterkreuz gehabt
haben, über die nur noch sehr ungenaue Nachrichten vorliegen. Auf den
Offizierskragen, auf den Trommeln und Borten der Spielleute wird zu Lebzeiten
der Regimentsschefs das Johanniterkreuz angebracht gewesen sein.
Zur Zeit des
Soldatenkönigs wurde mit dem Bau eines neuen Ordenspalastes in Berlin begonnen,
und in den ersten Regierungsjahren Friedrichs des Großen wurde durch königliche
Kabinettsorder von 1745 den Johannitern erlaubt, die Königskrone auf den
Rechtsritterkreuzen zu führen, auch dieses ein Zeichen enger gegenseitiger
Bindung. Im Siebenjährigen Kriege haben die Kommenden ebenso wie der
Herrenmeister ihre Opfer gebracht, aber schon 1772 war der Orden bereit, an dem
Kolonisationswerk der Urbarmachung des Warthebruchs mitzuwirken, wo er
Besitzungen hatte. Es war die letzte große Gemeinschaftsleistung der Ballei
Brandenburg, die würdig an die Anfänge 600 Jahre zuvor bei der
Kulturerschließung ostelbischer Gebiete anknüpft. Dann rollte die erste Woge des
Massenzeitalters heran, die Heere des Diktators Napoleon überschwemmten Europa,
Preußen leistete als letzter Widerstand, wurde zerschlagen und ausgesogen.
Bewundernswert bleibt die Unverzagtheit, der unbeugsame Wille zum Wiederaufbau,
zur Gesundung des Staates von innen her. Ein tragischer Zwiespalt, dass dafür
zunächst die Güter geopfert werden mussten, die den uneigennützigen Werken der
Erbarmung und Nächstenliebe dienten. Die Hardenbergsche Finanzreform war tief
einschneidend, sie musste unerhörte Opfer verlangen, um die Handlungsfreiheit
des Staates wiederzugewinnen. Schweren Herzens verfügte König Friedrich Wilhelm
III. am 30. Oktober 1810, alle geistlichen Güter in Domänen umzuwandeln, und
selbst der Freiherr vom Stein begrüßte diese Maßnahme als der ernsten Lage
entsprechend. Aber der Johanniterorden hatte unter diesen Umständen in der Mark
keine Lebensmöglichkeit mehr, mit königlichem Edikt vom 23. Januar 1811 gingen
die Befugnisse von Herrenmeister und Kapitel auf die Krone über und erloschen.
Der am 23. Mai 1812 errichtete königlich-preußische Johanniterorden erfasste nur
noch personell die bisherigen Mitglieder der Ballei, eine praktische Bedeutung
kam ihm nicht zu.
Das Edikt
wurde wenige Monate nach der Räumung Preußens durch die französische Besatzung,
am 3o. Oktober 1810, erlassen. Damit war die Balley Brandenburg zwölf Jahre nach
Maltas Eroberung und der Auflösung des Ordensstaates durch Napoleon äußerlich an
den Rand ihrer Existenz geführt. § 1 des Ediktes sah vor, dass „alle Klöster,
Dom- und andere Stifte, Balleyen und Kommenden, sie mögen zur katholischen oder
protestantischen Kirche gehören, von jetzt an als Staatsgüter betrachtet"
werden. Dem Edikt entsprechend sollten die Güter nach und nach eingezogen
werden. Auch solle für Entschädigung der Benutzer und Berechtigten gesorgt
werden. Diese Liquidation des materiellen Besitzes wäre für den Orden noch zu
ertragen gewesen, wenn er seine geistliche Existenz als Bruderschaft hätte
weiter pflegen können, um sich auf diese Weise selbst zu regenerieren. Aber das
Edikt hat nicht einmal diese Möglichkeit für den Orden eröffnet, denn es verbot
Anwartschaften und Neuaufnahmen als Novizen. Dem Zeitgeist entsprechend
erachtete man die geistige Institution des Ordens für überflüssig. Der
Reichs-Deputations-Hauptschluss aus dem Jahr 1803 wurde also sozusagen durch das
Edikt vom Jahr 1810 komplettiert. Schon im ersten Satz des Ediktes wird darauf
verwiesen. Es heißt dort, dass die geistlichen Güter „mit den Ansichten und
Bedürfnissen der Zeit nicht vereinbar sind". Offensichtlich ist diese
Formulierung nicht nur als Ausflucht oder Entschuldigung zu werten, auch nicht
als eine Umschreibung jener Lasten zu betrachten, die dem Königreich Preußen
durch Napoleon auferlegt waren. Man war damals fraglos der Überzeugung, dass der
napoleonische Sturm etwas umgestürzt hatte, was nicht mehr in die Zeit der
Aufklärung hineinpasste, was durch sie schon angenagt worden und dem nun
heraufdämmernden Zeitalter des Nationalstaates nicht mehr gemäß war. Der Staat
sollte nun übernehmen, was früher die Stände und die Verbände als ihre
selbstverständliche Aufgabe betrachteten. Sie hatten im „Statistischen
Zeitalter" ihre Daseinsberechtigung nach damaliger Auffassung verloren. Das
generelle Edikt des Preußenkönigs vom 3o. Oktober 181o, das der damalige
Staatskanzler v. Hardenberg gegengezeichnet hatte, wurde einviertel Jahr später,
am 28. Januar 1811, deshalb in einem Spezialedikt für den Johanniter-Orden noch
konkretisiert. In ihm wird eine Verzichtsakte als Mittelpunkt genannt, die der
Herrenmeister, Prinz August Ferdinand wenige Monate vor seinem Tode mit seinem
Großneffen, dem König Friedrich Wilhelm III und dessen Beratern ausgehandelt
hatte: Die Opferbereitschaft, das nationale Beispiel und die selbstverständliche
Pflicht gegen den Staat haben den in der Geschichte des Ordens so bedeutenden
Herrenmeister an seinem Lebensabend gezwungen, das Meistertum Sonnenburg
aufzugeben. Zu dieser von ihm erzwungenen Entscheidung, die ihm, dem Wortlaut
nach zu schließen, sehr schwer gefallen sein muss, kam die von ihm gebilligte
Entscheidung des Ordenskapitels, die Einziehung der Güter der Balley noch etwas
auszusetzen, obwohl das am grundsätzlichen Verzicht nichts ändern solle.
Tatsächlich war dieses Hinauszögern rein technischer Natur. Das
Übergabeverfahren sollte erst richtig eingeleitet werden. Einnahmen und Ausgaben
aus den noch im Besitz des Ordens befindlichen Liegenschaften sollten bis zur
Mitte des Jahres 1811 noch auf Rechnung des Herrenmeisters und des Kapitels
gehen, deren Funktionen mit dem 1. Juni 1811 als erloschen galten. Das
Verwaltungspersonal der Güter war von da an dem Staate verantwortlich. Die
Ritter konnten allerdings auf Lebenszeit das ihnen teuer gewordene Kreuz weiter
tragen.
Es entsprach
durchaus dem neu gewonnenen Verhältnis zwischen dem Staat als der beherrschenden
Kraft im nationalen Leben und der in ihm und für ihn wirkenden
Einzelpersönlichkeiten, wenn der gleiche Preußenkönig, der das Vermögen des
Ordens eingezogen hatte, den gleichen Orden mit fast gleichen Insignien - nur
ohne die für die Rechtsritter gültige Krone - am 23. Mai 1812, also eineinhalb
Jahre nach der Aufhebung des geistlichen Ritterordens, als staatlichen
Verdienstorden neu aufleben ließ. Es geschah „zum ehrenvollen Andenken der
eingegangenen Balley". Allerdings wurde der Name und mit ihm natürlicherweise
der Inhalt geändert. Er hieß von nun an „Königlich Preußischer St.
Johanniter-Orden" und gehörte jetzt laut Stiftungsurkunde zu „unseren
königlich-preußischen Orden". Der König selbst war der souveräne Protektor
dieses Ordens. Er bestimmte den von ihm abhängigen Großmeister und die Anzahl
der von seinem Willen abhängigen Ritter. Zu ihm gehörten allerdings all jene,
die als „wirklich eingekleidete Ritter des ritterlichen Ordens St. Johannis vom
Spital zu Jerusalem" bislang gegolten hatten. Das Verdienstmoment um den Staat,
das königliche Haus und den Monarchen spielten bei der Neuaufnahme die
Hauptrolle. Der Großmeister, Prinz Heinrich von Preußen, Bruder König Friedrich
Wilhelms III., übernahm damit - entgegen den bisherigen Gepflogenheiten beim
alten Orden - staatliche Funktionen, die im ganzen geringfügig, wenn auch für
ihre Zeit typisch gewesen sind. Das Ordensschloss in Sonnenburg diente nun als
Vorratsmagazin. Vorübergehend benutzte man es sogar als Gefängnis. In dem
langsam verfallenen Bau hingen die alten Bilder aus den Rahmen. „Unordnung und
Vergessen hatten sich über die Geschichte des Ordens ausgebreitet", so schreibt
Paul Michael v. Broecker in seinen Studien über die Geschichte des Ordens
(Johanniter-Ordensblatt Hefte 2 und 3 - Jahrgang 1962).
Der
Großmeister Prinz Heinrich von Preußen litt unter diesen Zuständen, die ihn zu
einer reinen Repräsentationsfigur und den Orden selbst zu einer „Entlastung des
Roten Adler-Ordens und des Pour le merite" machten. Deshalb zog er sich in den
vierziger Jahren wieder nach Rom zurück, wo der von Malta vertriebene Orden im
Jahr 1841
wieder nach
alten Ordensgrundsätzen ein Hospital übernommen hatte. Auch in Preußen begann
man sich wieder der alten Traditionen zu erinnern. Das waren Anlässe, die dem
Großmeister Prinz Heinrich mehrfach den Gedanken nahe brachten, ob man nicht
doch den alten Orden wieder errichten solle, zumal er ständig von den Menschen
umgeben war, die sein Vorgänger, der Herrenmeister August Ferdinand, als Kern
des alten Ordens und damit als seine geistigen Erben hinterlassen hatte.
Heinrich sah es als eine Entwürdigung an, dass die Auszeichnung, die er mit
seinem Namen zu decken hatte, in der Rangfolge der preußischen Orden an letzter
Stelle stand. Das war so widerspruchsvoll zu dem Gedanken des persönlichen
Opfers, der im alten Orden Zoo Jahre hindurch vertreten worden war und der, je
länger die Jahre ins Land gingen, desto mehr in den Kirchen der Reformation
wieder aufflackerte.
Rechtfertigung allein durch den Glauben, so hieß es in der Reformation. Es war
die Antithese wider die alte Kirche. Johann Hinrich Wichern (1808-1881),
beeinflusst durch die Franckeschen Stiftungen in Halle a. d. Saale, erkannte
aber in dieser Rechtfertigung durch den Glauben die Notwendigkeit, dies durch
gute Werke auch zu bezeugen. Ein lebenslanger Kampf um sein Hauptwerk, die
Innere Mission, gewann sich von Jahr zu Jahr mehr Freunde. Er definierte sie
selbst mit den Worten: „Als Innere Mission gilt uns nicht diese oder jene
einzelne, sondern die gesamte Arbeit der aus dem Glauben an Christus geborenen
Liebe, welche diejenigen Massen in der Christenheit innerlich und äußerlich
erneuern will, die der Macht und Herrschaft des Verderbens anheim gefallen
sind..." Mit diesem Bestreben fand er auch bei König Friedrich Wilhelm IV., den
die Geschichte den Romantiker nennt, in eben der Zeit Anklang, da Karl Marx sein
Kommunistisches Manifest als Anklage auch gegen einen selbstgerecht gewordenen
und in dieser Form nach seiner Auffassung überholten Christenglauben
niederschrieb. Prinz Heinrich gewahrte noch, dass durch Wichern und seine
Zeitgenossen Funken eines alten Geistes neues Feuer schlugen. Er hoffte, dass
dadurch auch dem alten Ordensgedanken wieder neue Impulse gegeben würden. Aber
er hatte nicht mehr die Energie, die neuen Zeitläufe im Zentrum Europas, die mit
der Romantik zugleich einen neuen Geist über die Menschen brachte, auch aus
eigenem Impuls entsprechend zu nutzen. Nach langem Leiden starb er schließlich
im Jahre 1846 in Rom, zwei Jahre ehe der erste Evangelische Kirchentag in
Wittenberg Wicherns Werk für die Evangelischen Kirchen in Deutschland allgemein
verbindlich machte. Heinrichs Sarg wurde von seinem letzten Adjutanten, dem
späteren Feldmarschall und Ordensritter Helmut v. Moltke, nach Deutschland
begleitet.
So
unbegreifbar in vielen Dingen nun auch das neue Zeitalter gewesen sein mochte,
so seltsam die Mischung zwischen Nationalgeist und Staatsverherrlichung - die
Ära hatte den großen Vorteil, dass man wieder begann, sich der alten Traditionen
zu entsinnen, um in variierten Formen an sie anzuknüpfen. Aus eigener Initiative
veranstaltete der Kreisrichter Scholle aus Sonnenburg eine Sammlung, mit deren
Hilfe das alte Ordensschloss, der Mittelpunkt der Balley, wiederhergestellt
werden sollte. Das Ordenspalais am Wilhelmsplatz in Berlin, das von 1933 bis
1945 das Reichspropagandaministerium beherbergen musste und in den letzten Tagen
des zweiten Weltkrieges schließlich total zerstört worden ist, hatte inzwischen
von dem großen Baumeister Schinkel neue Gestalt erhalten. In diesem Haus
flammten die ersten Anzeichen für eine Neubelebung des Ordens auf, als am Tage
der Silberhochzeit des Prinzen Carl, in den ersten Monaten des Jahres 1852, die
Vergangenheit des Ordens neu erstand. Entsprechend den Formen der Romantik
wählte man dazu die Poesie. George Hesekiel beschwor in einem Gedicht von 37
Versen die Tradition der Johanniter. Das Poem klang wie ein Appell an den
Preußenkönig der Romantik, der für Kunst und Wissenschaft ebenso aufgeschlossen
war wie für Toleranz zwischen den christlichen Konfessionen, den alten Orden in
neuer Form wieder aufleben zu lassen. Am 15. Oktober 1852, an seinem 57.
Geburtstag, erließ denn auch König Friedrich Wilhelm IV. die für den Orden
entscheidende Kabinettsorder, die mit dem lapidaren Satz beginnt: „Die Balley
Brandenburg ist wieder hergestellt."
Paul Michael
v. Broeker weist in seinen Studien über den Orden darauf hin, dass gleichsam im
letzten Augenblick der Bogen zur Vergangenheit geschlagen worden ist. Ein
einziges Jahr später nur und von den acht noch lebenden Rittern der Balley, die
in den Jahren 1790 bis 1800 in Sonnenburg von Prinz August Ferdinand den
Ritterschlag empfangen hatten, hätte nur noch ein einziger gelebt. Der jüngste
von diesen acht zählte 76, der älteste 87 Jahre.
Friedrich
Emil Graf v. Zieten, Dietrich Frhr. v. Miltitz, Friedrich Albrecht Graf von der
Schulenburg, Carl Friedrich Graf v. Lehndorff, Ferdinand Graf v.
Stolberg-Wernigerode, Heinrich Regierender Graf zu Stolberg-Wernigerode, Leopold
Dietrich v. Behr-Negendank und Carl Lazarus Reichsgraf v. Henckel, Freiherr v.
Donnersmarck haben entsprechend der königlichen Order gemeinsam ein Kapitel
gebildet und am 14. März 1853 den Prinzen Carl - den Bruder des Königs -
einstimmig zum 31. Herrenmeister der Balley Brandenburg gewählt. Der neue
Meister des Ordens residierte wieder im Palais am Wilhelmsplatz in Berlin. Er
wurde zwei Monate nach seiner Wahl, am 17. Mai 1853, in der Kapelle des
Schlosses Berlin-Charlottenburg nach dem alten Zeremoniell mit den alten
Insignien feierlich in sein Amt eingeführt. Durch seine Urkunde vom 15. Oktober
1852, die in Sanssouci ausgestellt und von dem Ministerpräsidenten v. Manteuffel
gegengezeichnet war, waren die im Jahre 1810 funktionslos gemachten
Ordens-Organe wieder in ihre alten Rechte eingesetzt worden. Damit war
organisatorisch und geistig der Anschluss an die wichtigste Bestimmung des
Heimbacher Vergleichs von 1382 gefunden: „Und thun wir den genannten Balleyer
und Pflegern in der Mark mit diesem Briefe die Gnade, daß sie und alle ihre
Nachkommen in derselben Balley alle Zeit ewiglich Macht und Gewalt haben sollen,
einen Balleyer ihrer Balley einträchtlich zu wählen, wo immer und wann das Noth
ist, denselben Balleyer wir und unsere Nachkommen ihnen confirmieren und
bestätigen sollen." Indem die acht geschlagenen Ritter aus der Zeit des
Herrenmeisters August Ferdinand das Kapitel bilden konnten, setzt sich also
rechtlich und geistig der Orden ungebrochen bis in die Gegenwart fort.
Herrenmeister Prinz Carl unterstrich dies, als er kurz nach seiner Wahl den
stellvertretenden Großmeister in Rom mit den Worten anschrieb: „Diese Wahl
eröffnen wir Euch, dem Meistertum, hauptsächlich aus dem Grunde, weil das
Priorat von Deutschland nicht mehr besteht, da wir sonst infolge der alten
Verträge Bestätigung des Großpriors von Deutschland nachzusuchen verpflichtet
sein würden." Damit hatte der neue Herrenmeister den alten Heimbacher Vergleich
als die Grundlage des Ordens anerkannt. Der Großmeister in Rom hatte nicht
dagegen protestiert und somit das Recht des Ordens ungebrochen akzeptiert.
Zugleich aber hatte sich Prinz Carl auch hinreichend von dem Großmeistertum
distanziert. Er gab zu verstehen, dass eine Bestätigung seiner Wahl nicht
erforderlich sei.
In der
Stiftungsurkunde vom 15. Oktober 1852 werden diese Gedanken in den beiden ersten
Paragraphen kurz wie folgt zusammengefasst:
1. Die
Balley Brandenburg des evangelischen St.-Johanniter-Ordens ist, unbeschadet der
durch das Edikt vom 3o. Oktober 1810 erfolgten Einziehung der Güter derselben
als Staatsgüter, wieder hergestellt.
2. Zu
wirklichen Mitgliedern der Balley Brandenburg des St.-Johanniter-Ordens (Comthuren
und Rechtsrittern) sollen von jetzt an nur solche, des Ordens würdige Personen
ernannt werden, welche sich verpflichten, für die Zwecke des Ordens einen
jährlichen Beitrag von mindestens 12 Thalern zu zahlen und ein Eintrittsgeld von
1oo Thalern erlegen.
3. Die
gegenwärtig noch am Leben befindlichen Ritter, welche vor der Säcularisation den
Orden erhalten haben, sollen auch ohne Übernahme dieser Leistungen wirkliche
Mitglieder dieses Ordens sein.
Nur in einer
einzigen Bestimmung unternimmt König Friedrich Wilhelm IV. den Versuch, den
„Preußischen St.-Johanniter-Orden", also jenes seltsam zwiespältige Gebilde, das
zwischen 1810 und 1852 wenigstens nach außen hin die Existenz von
Johanniter-Ordensrittern noch kundgab, in die alte Tradition mit hereinzunehmen.
Es wurden nämlich alle Ritter dieses nun aufgelösten Zwittergebildes Ehrenritter
der Balley. Wirkliche „Mitglieder des Ordens" aber waren nur die durch
Ritterschlag angenommenen Rechtsritter. Die anderen trugen zwar die Dekoration,
hatten keine besonderen Rechte und Pflichten und waren, wie es im Edikt hieß,
dem Orden „affiliert". Die Rechtsritter hingegen hatten nun zum Teil sehr
beträchtliche materielle Lasten auf sich zu nehmen. König Friedrich Wilhelm IV.
verband hier einen Akt der Wiedergutmachung mit der von ihm erkannten
Notwendigkeit, einen Kreis von Rittern um sich zu wissen, die im Glauben tief
verwurzelt waren und sich bereit erklärten, mit ihm zusammen der Monarchie das
Gepräge zu geben. Wörtlich schreibt der König zu den neuen Statuten der Balley
Brandenburg:
Wir
Friedrich Wilhelm, von Gottes Gnaden König von Preußen, Markgraf v. Brandenburg
usw. thun kund und fügen zu wissen, Nachdem durch Unseren Befehl vom 15. October
1852 unter Aufhebung der entgegenstehenden Bestimmungen, wie sie in dem
Säcularisations-Edikt vom 30. October 1810 und der Urkunde über Auflösung der
Balley Brandenburg des Ritterlichen Ordens von St. Johannis vom Spital zu
Jerusalem vom 23. Januar 1811 enthalten sind, Kraft des Unseren Vorfahren in der
Mark Brandenburg von jeher zuständig gewesenen und insbesondere im Instrument
des Westphälischen Friedens Art. XII. ausdrücklich anerkannten Landesherrlichen
Souverainitäts- und Patronatsrechtes über gedachte Balley dieselbe wieder
aufgerichtet und den ursprünglichen Zwecken des Ordens gewidmet worden ist, Wir
auch das Capitel der gedachten Balley aus denjenigen Johanniter-Rittern der
Balley Brandenburg gebildet haben, welche durch den von dem Herrenmeister
empfangenen Ritterschlag annoch zu rechten Rittern aufgenommen worden waren, und
das Capitel auf Grund der alten Verfassung der Balley, wie sie auf dem zwischen
dem Groß-Priorat von Deutschland und dem Herrenmeisterthum der Balley
Brandenburg am Tage St. Barnabä zu Heimbach geschlossenen, vom Großmeister und
vom Kaiser bestätigten Vergleiche beruht, aus der Zahl der von Uns präsentirten
Candidaten Unseres vielgeliebten Herrn Bruders, des Prinzen Carl von Preußen,
Markgrafen von Brandenburg, Königliche Hoheit und Liebden, zu einem rechten
Herrenmeister gewählt hat, wir aber demnächst dieser Wahl Unsere Landesherrliche
Confirmation ertheilt haben, und den erwählten Herrenmeister von Jedermänniglich
für einen rechten und wahren Herrenmeister der Balley Brandenburg des
Ritterlichen Ordens von St. Johannis vom Spital zu Jerusalem gehalten wissen
wollen, als hat der gedachte Herrenmeister Liebden Uns gebeten, den in dem am
24. Juni d. J. abgehaltenen Ordens-Capitel beschlossenen Statuten der
neubegründeten Balley Brandenburg Unsere Landesherrliche Bestätigung zu
ertheilen, und wollen Wir die erbetene Allerhöchste Confirmation Kraft Unserer
Gewalt als Landesherr und Pathron des Ordens erteilen, wie Wir hiermit thun und
die gedachten, nachstehend wörtlich folgenden Statuten bestätigen und unter
Unseren Landesherrlichen Schutz nehmen, dem zu Urkund Wir den gegenwärtigen
Brief unter Unserer Hand und Insiegel ausgefertigt haben."
(L. S.)
Friedrich Wilhelm
So geschehen
Putbus, den 8. August 1853 v. Manteuffel
Die Statuten
sehen dann u. a. wörtlich vor:
§ 36. Ein
jeder, welcher als Rechts-Ritter aufgenommen wird, soll dem Ordens-Gelübde gemäß
leben und handeln.
§ 37. Der
Orden errichtet, so weit seine Mittel es gestatten, im ganzen Lande
Krankenhäuser und seinen Zwecken entsprechende Anstalten, erstere vornehmlich in
kleinen Städten für die Kranken aus denselben und dem platten Lande, auch
übernimmt er die Leitung solcher Krankenhäuser und Anstalten, welche seinem
Schutze anvertraut werden und seiner Regel sich unterwerfen.
§ 38. In
Sonnenburg soll ein Muster-Krankenhaus errichtet werden.
§ 39. In der
Regel soll die Krankenpflege in den dem Orden unterworfenen Anstalten von keinen
Lohnpflegern verrichtet werden, sondern von Pflegern und Pflegerinnen, welche
diesem Dienste sich in freier Liebesthätigkeit widmen und die nach abgelegter
Prüfung als dienende Brüder und Schwestern in den Orden aufgenommen werden und
ein entsprechendes Ordens-Zeichen erhalten.
Selten wurde
in der bis dahin bald 800jährigen Geschichte des Ordens die Ritterpflicht so
präzis formuliert wie in diesen Statuten. Die geistliche Institution des
Ordensritters erhielt in ihnen für ein ganzes Jahrhundert neues Profil. Die
wiederbegründete Ordensgemeinschaft selbst gewann einen Auftrieb, wie wir es
seit der Gründung und der ersten großen Ausstrahlung im 12. und 13. Jahrhundert
kaum mehr erlebt haben. Schon in den ersten Tagen, nachdem die neuen
Ordens-Organe ihre alten Funktionen wieder erhalten hatten, lief eine Unmenge
von Anträgen im Ordensbüro der Balley ein. In ihnen wurde um Aufnahme gebeten.
Der neue Herrenmeister hat diese Gelegenheit ergriffen und den neu zu Rittern
geschlagenen Angehörigen des Ordens geboten, in den verschiedenen Landesteilen
Preußens und darüber hinaus in evangelisch bestimmten Regionen des deutschen
Sprachgebietes Genossenschaften des Ordens zu gründen. In der Kapitelsitzung vom
23. Juni 1853 wurde die Organisation dieser Genossenschaften beraten und
vorbereitet. Man beschloss einzelne Provinzialgenossenschaften für folgende
Landschaften:
Preußen,
Brandenburg, Pommern, Schlesien, Posen, Sachsen, Westfalen, die Rheinprovinz,
Königreich Württemberg, Großherzogtum Hessen und ein Verein in den
Großherzogtümern Mecklenburg-Schwerin und Mecklenburg-Strelitz.
Die
personell stärksten Provinzen des Ordens gruppierten sich um den preußischen
Kern. Die weiter entfernt liegenden Genossenschaften waren bei ihrer Entstehung
entsprechend schwächer. Immerhin umfasste der Orden unmittelbar nach der
Wiederaufrichtung der Balley 155 Rechtsritter und 738 Ehrenritter. Dazu kommen
die Kommendatoren und die Ehren-Kommendatoren, unter denen Prinz Friedrich der
Niederlande mit rangierte zum Zeichen dafür, dass auch die Niederlande mit der
Balley verbunden waren. 50 Jahre nach dem Tode des Herrenmeisters Prinz August
Ferdinand offenbarte sich also, wie sehr es dem Orden zugute kam, dass in der
Zeit geistiger und moralischer Zerfallserscheinungen der Orden damals von einer
starken Hand geführt wurde, die die alten Prinzipien trotz aller Anfechtungen
aufrechterhalten hatte. Herrenmeister Prinz Carl hatte offensichtlich aus der
Zeit, da August Ferdinand Herrenmeister war und mit so vielerlei Schwierigkeiten
zu kämpfen hatte, gelernt; denn er stellte nun keinem der Rechtsritter vom Orden
her materielle Güter in Aussicht. Er schuf auch keinerlei besondere
Verdienstmöglichkeiten materieller Art. Deshalb bestand er auch gar nicht
darauf, dass die im Jahre 1810 eingezogenen Besitzungen des Ordens nach seiner
Wiedererrichtung an ihn zurückgegeben würden. Umso mehr also konnte er an die
Leistungskraft der einzelnen Rechtsritter appellieren. Unter ihnen waren viele
große Namen der deutschen Geschichte zu finden, oftmals seit Jahrhunderten dem
Orden eng verbunden. Jeder einzelne von ihnen hatte das folgende Gelübde
abgelegt: „Daß er der christlichen Religion insbesondere dem Bekenntnisse der
evangelischen Kirche, mit treuem Herzen anhangen, das Ordenskreuz auf der Brust
als Zeichen seiner Erlösung tragen, des Evangeliums von Jesu Christo sich
nirgends schämen, dasselbe vielmehr durch Wort und Tat bekennen, gegen die
Angriffe des Unglaubens muthig und ritterlich vertheidigen und einem diesem
Bekenntniß würdigen Wandel in Gottesfurcht, Wahrheit, Gerechtigkeit, züchtiger
Sitte und Treue führen wolle ... daß er den Kampf gegen den Unglauben, den
Dienst und die Pflege der Kranken, als Zweck des Johanniter-Ordens anerkennt ...
daß er gegen die Feinde der Kirche Christi und gegen die Verstörer göttlicher
und menschlicher Ordnungen überall einen guten und ritterlichen Kampf kämpfen,
sowie nach besten Kräften die christliche Krankenpflege des Ordens begünstigen,
fördern und verbreiten" wolle.
Für die
Rechtsritter wurde damals ausdrücklich bestimmt, dass sie „zum deutschen Adel,
oder zum Adel der Preußischen Monarchie gehören, evangelischer Konfession und
Ehrenritter gewesen sein„ müssen. Außerdem wurde verordnet, dass „die Würde der
Rechtsritter und die Befugnis, die Dekoration derselben zu tragen, nur durch den
persönlich zu empfangenden Ritterschlag erlangt werden kann, welcher gewöhnlich
am Johannistag jeden Jahres stattfindet". In den Bestimmungen für das Gelübde
der Rechtsritter wurde darüber hinaus ausdrücklich vermerkt, dass jeder
Rechtsritter „zu bekennen und zu geloben" hat, „dass er die drei Schläge, welche
er mit dem Schwert von dem Herrenmeister empfangen hat, für sein Letztes halten
und gelitten haben will".
Wie wirksam
diese innere und äußere Straffung des Ordens, tatkräftig unterstützt von König
Friedrich Wilhelm IV., gewesen ist, zeigten die allerorts neu erstehenden
Krankenhäuser und Pflegeanstalten des Ordens. Hintereinander wuchsen in den
folgenden zehn Jahren ein Kranken- und Siechenhaus in Sonnenburg, das unweit des
Schlosses auf einer Anhöhe gelegen und dessen Grund dem Orden vom König
gleichsam als Starthilfe geschenkt worden war. Darin konnten sechs männliche,
sechs weibliche Sieche, zwölf männliche, zwölf weibliche Kranke und zwölf Kinder
Aufnahme finden. Der damalige Kommendator, Graf zu Stolberg-Wernigerode,
bestimmte ausdrücklich, dass im Falle gänzlicher Mittellosigkeit des Kranken
oder derjenigen, die sich für die Heilung verpflichtet haben, eine
unentgeltliche Aufnahme stattfinden könne. In der gleichen Bekanntmachung wird
aber darauf hingewiesen, dass eine allgemeine freie Aufnahme in den
Krankenanstalten des Ordens grundsätzlich deshalb nicht stattfindet, „weil den
Gemeinden und Privatpersonen, welche Verpflichtungen zur Armenpflege haben,
solche nicht abgenommen, sondern nur erleichtert und den Kranken gegen eine sehr
mäßige Vergütung eine gute Pflege gewährt werden soll";
Siechenanstalten in Berlin, die angelehnt wurden an die Gemeinden St. Jacobi,
St. Elisabeth, St. Bartholomäus, und ein weiteres Siechenhaus, das für die
Berliner Domgemeinde bestimmt war, vom Christlichen Frauenverein zu Berlin
gegründet wurde und den Namen „Bethesta" erhielt. Diesen Häusern mit jeweils
acht bis zehn Betten wurde ein Jahreszuschuss von 300 Talern durch den Orden
gewährt, eine Starthilfe, die später erlöschen sollte, als sich die Rentabilität
dieser Anstalten erwies; ein Krankenhaus und eine evangelische Schule, verbunden
mit einem Mädchen-Pensionat im Zentrum der Wallachei, in Bukarest, der
Hauptstadt des späteren Rumäniens, dem Patronat der Balley unterstellt. Diese
Stiftung wurde von Bekennern der orthodoxen Glaubensrichtung in der Wallachei
stark gefördert;
ein
Handwerker- und Pilgerheim in Jerusalem in dem kleinen, dem Orden gehörigen
Hospiz nahe der Grabeskirche und der damals noch unberührten Ruinen des
Johanniter-Palastes; eine Heil- und Pflegeanstalt für Geisteskranke, angeregt
durch einen Appell des Pastors Disselhoff der Diakonissenanstalt Kaiserswerth.
Hier handelte es sich mehr um die Unterstützung eines von Kaiserswerth geplanten
Hauses, in dessen Vorstand ein Johanniter-Ritter aufgenommen werden sollte. Das
Haus selbst entstand dann im heutigen Mönchengladbach.
Die gleichen
Kaiserswerther Anstalten haben durch Pastor Fliedner den Orden gebeten, das
Evangelische Krankenhaus oberhalb des Ölbergs zu Jerusalem tatkräftig zu
unterstützen, ein Schwestern- und Rekonvaleszentenheim zu schaffen und dafür
Freibetten für den Orden zu erwerben. Diesem Antrag hat das Ordenskapitel im
Dezember 1856 stattgegeben.
Die blutigen
Verfolgungen von Christen während des Jahres 1860 in der heutigen libanesischen
Hauptstadt Beirut veranlassten den Orden, eine Hilfs-Expedition in den Libanon
zu entsenden. Aus dem Wirken dieser Expedition entstand schließlich ein eigenes
Johanniter-Krankenhaus in Beirut. Innerhalb des damals kaiserlich-deutschen
Kolonialgebietes wurde sogar in der Kolonie Deutsch-Südwest-Afrika zu Beginn des
20. Jahrhunderts ein Johanniter-Krankenhaus in Keetmannshoop eingeweiht.
Neben diesen
der Balley direkt zugehörigen Anstalten und Ordenswerke haben aber gleichzeitig
die Provinzial-Genossenschaften ihrerseits, dem Ordensgelübde getreu, mit dem
Bau neuer oder der Unterstützung bereits bestehender Häuser begonnen. Das
geschah in der Preußischen Genossenschaft durch Beihilfen an das
Diakonissenkrankenhaus zu Warthenburg, in der Anlage des
Johanniter-Krankenhauses in Preußisch Holland und der Johanniter-Hospitäler in
Gerdauen. Das geschah in der Brandenburgischen Genossenschaft durch
Unterstützung des Krankenhauses „Bethanien„ in Berlin und die Eröffnung eines
eigenen Krankenhauses im September 1855 in Jüterbog, dem im darauf folgenden
Jahr noch eine eigene Kinderstation angegliedert wurde; ferner durch
Subventionen für die Errichtung eines Krankenhauses in Neuruppin, das als
Johanniter-Krankenhaus im Oktober 1856 feierlich eingeweiht wurde; ein drittes
Krankenhaus im brandenburgischen Bereich entstand schließlich in Stendal.
Die
Pommersche Genossenschaft erwarb Krankenhäuser in Polzin, in Zülchow b. Stettin,
in Demmin und unterstützte einen Krankenhausbau in Barth. Die Schlesische
Genossenschaft gab Beihilfen an die Krankenhäuser Bethanien und Breslau,
Erdmannsdorf, Reichenbach und Siegroth bei Nimpsch, ehe sie Erdmannsdorf und
Reichenbach dann als Eigentum erwarb. Ein weiteres Krankenhaus wurde in
Falkenberg in Oberschlesien im Jahre 1859 erworben. Ein nur für Männer
bestimmtes Krankenhaus wurde in Lepersdorf bei Landeshut erbaut. Ihm wurde
später eines für Frauen und Kinder angegliedert. Die Posener Genossenschaft,
deren Mitgliederstand auch für damalige Verhältnisse sehr klein war, unternahm
die Gründung einer großen Zahl betont kleiner Häuser, um den besonderen
Verhältnissen in der Provinz Posen gerecht zu werden. Das geschah zu
Tirschtiegel, Krs. Meseritz, in Pinne, Krs. Samter, in Fraustadt, in
Muravana-Goslin. Die Sächsische Genossenschaft erwarb in der alten Lutherstadt
Mansfeld ein Grundstück und baute darauf im Jahre 1857 ein Siechenhaus, in dem
der Kreisarzt die ärztliche Pflege übernahm und in dem der Diakon von Mansfeld
das geistliche Regiment führte. Winterfeld spricht in seiner Ordensgeschichte
von der „Seelsorge und der Beaufsichtigung der täglichen Morgenandachten und
Tischgebete, welche von dem Hausvater und abwechselnd von einem der Siechen
abgehalten werden„.
Die
Westfälische Genossenschaft baute das Schloss zu Altena zu einem Siechen- und
Krankenhaus um und erweiterte es seit 1856 ständig. Die Rheinische
Genossenschaft investierte ihre Mittel in das Haus zu Mönchengladbach, während
die Württembergische Genossenschaft eine ambulatorische und christliche
Krankenpflege einrichtete, in der sich die wenigen Ritter der Genossenschaft „im
rechten Johanniter-Sinn" üben sollten. Sie nahmen sich in Stuttgart meist jener
Kranken an, die keine rechtlichen Ansprüche an die Stadt zu stellen hatten, also
meist Nicht-Eingebürgerte. Ähnlich den Rheinländern wandte auch der
Mecklenburger Verein seine Mittel dem Stift „Bethlehem" bei Ludwigslust und dem
Carolinen-Stift bei Neustrelitz zu, gab auch die Hessische Genossenschaft ihr
Geld dem Diaconissen- und Krankenhaus in Darmstadt.
Diese
Anstalten entstanden zumeist nicht dadurch, dass die Ritter nur ihren regulären
Beitrag für den Orden entrichteten oder einen konventionellen
Barmherzigkeitspfennig zahlten. Sie entstanden durch sich selbst auferlegte
Opfer. Teils waren es Opfer an Wertpapieren oder auch an Geld, die sehr häufig
über viele Jahre auf hohe Beträge fixiert waren, teils waren es Stiftungen, die
sich auf eine bestimmte Anzahl von Betten über eine lange Reihe von Jahren
erstreckten. Neben diesen „Freibetten" gab es dann noch Schenkungen teils in
Gestalt fester Verpflegungssätze, teils in Gestalt von privaten Liegenschaften,
teils indem sich einzelne Ordensritter in die Baukosten der neu zu errichtenden
oder umzubauenden Häuser teilten. Dieser Opfersinn galt keineswegs etwa den
Armen, Verarmten oder Siechen des gleichen, also des adligen Standes. Die
Angehörigen der so genannten gehobenen Schichten gingen damals noch nicht in ein
Krankenhaus, um Leiden auskurieren zu lassen. Das war damals allein Sache der
Armen und Minderbemittelten aus dem kleinen Bürgertum, aus dem Handwerker oder
Bauernstand. Daraus erklärt sich auch die für heutige Begriffe natürlich
geringfügige Bettenzahl der einzelnen Häuser, die im Normalfall nicht unter
acht, aber auch nicht über 20 Betten lag. Nur in seltenen Fällen wurde mit 40
oder 50 Betten (Polzin, Reichenbach, Erdmannsdorf) begonnen und dann weiter
aufgestockt, was sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts einfach durch
die anhebende Industrialisierung in den meisten Fällen als notwendig erwies.
Damit stiegen dann in der Folgezeit auch die notwendigen Anforderungen an die
Ritter, die es sich zum Ziele gesetzt hatten, gerade diesen Menschen zu helfen.
Winterfeld kommentiert diese Haltung mit den wenigen, aber sehr markanten
Sätzen: „Außer dem Bekämpfen des Unglaubens, außer der Stiftung von Hospitälern,
außer der Linderung von Not und Elend, wo der Johanniter ihnen auf seinem
Lebensweg begegnet, liegt noch eine dritte Pflicht in den Prinzipien des
Johannitertums, die in unserer jetzigen modernen Zeit ebenso gut zu erfüllen
ist, als im fernen Mittelalter; das ist das Prinzip der Ritterlichkeit, das der
Johanniter und der Edelmann überhaupt nicht abgelegt hat mit Harnisch und Lanze.
Wie in früheren Zeiten der Adel dem Volk voranzog mit dem Schwert, so soll er
ihm jetzt voranziehen mit der Gesinnung, und wie die Johanniterschaft früher die
Blüte des Adels war, so soll sie jetzt der Kern desselben sein, eine
Mustergenossenschaft für ihren Stand, eine Verbrüderung, die das weiße Kreuz
nicht als Zierrat trägt, sondern als Symbol ihrer Gesinnung. Wenn die
Johanniterschaft, diesen Prinzipien getreu, auf diese Weise ihre Corporation
selbst mit einem Liebesband umschlingt, treu zusammenhält in ihrem gemeinsamen
Streben und Wirken, dann wird es als eine hohe Ehre betrachtet werden, dem Orden
anzugehören, dann wird im Lauf der Zeit Adel und Johannitertum einmal dasselbe
werden."
Schon fünf
Jahre nach dem Neuaufleben der alten Ordensfunktionen unter dem Herrenmeister
Prinz Carl gab es insgesamt 36 solcher Häuser, die wiederum ihren Mittelpunkt im
alten Ordensschloss zu Sonnenburg erhielten. Es war in den gleichen Jahren
zurückgekauft und würdig restauriert worden, so dass - beginnend im Jahre -186o
- auch der Ritterschlag wieder in Sonnenburg vorgenommen werden konnte. Der
Orden hatte damals schon nach kurzer Zeit seine alte Strahlkraft wieder
angenommen. Von der feierlichen Investitur des Herrenmeisters am -17. Mai -1853
in der Kapelle des Schlosses Berlin-Charlottenburg bis zum ersten Ritterschlag
waren nur sieben Jahre vergangen. Diese sieben Jahre lautlosen Wirkens in der
alten Gestalt und nach der im wesentlichen altüberkommenen Verfassung, aber eben
in modernen Formen hatte genügt, das benachbarte Ausland auf das Wirken des
Johanniter-Ordens aufmerksam zu machen.
Das Jahr
1859 hatte dem Schweizer Henri Dunant auf dem Schlachtfeld von Solferino -
während des Kampfes zwischen Österreich-Ungarn und Italien-Frankreich den für
den Johanniter-Orden seit Jahrhunderten selbstverständlichen Gedanken
eingegeben, eine übernationale Organisation möge sich der Pflege und Wartung der
Verwundeten auf beiden Seiten der kriegführenden Parteien annehmen. Das Ausmaß
der Schlacht und die große Zahl der Verwundeten zwischen Mantua und dem Gardasee
zeigte, dass auch die konzentrierteste Kraft der Johanniter in einem modernen
Krieg offenbar nicht mehr ausreichen werde, um den damit verbundenen neuen
Aufgaben voll gerecht werden zu können. Die Methoden der Kriegführung hatten
sich seit der großen Auseinandersetzung zwischen Engländern, Franzosen, Türken
und den Russen in den Jahren 1853/54 auf der Halbinsel Krim entscheidend
geändert. Auf den Sapunhöhen vor Sewastopol waren die ersten Schützengräben in
den harten roten Karst gehauen worden. Aus raschen Bewegungskriegen wurden zähe
und deshalb besonders blutige Stellungsschlachten und Stellungskriege. Man
kämpfte nicht mehr mit Söldnerheeren, sondern mit Nationalarmeen. Das
verhärtete, geistig gesehen, jede größere Auseinandersetzung auf dem
Schlachtfeld. Die einzelnen Heere rangen um ihre nationale Existenz, um die
Befreiung von fremdnationaler Herrschaft. Das National-Staatsprinzip verschaffte
sich, beginnend mit dem Krieg um die italienische Einheit unter Cavour und
Garibaldi, in ganz Europa als Folge der Französischen Revolution Geltung. Damit
aber drohte die Gefahr, dass verwundete Gefangene der anderen Nationalität wie
Freiwild behandelt würden. Das ging gegen die Prinzipien des Ordens, der in den
Jahrhunderten seiner Geschichte immer wieder die Pflege von Verwundeten und
Kranken beider Seiten betrieben hatte. Während des dritten Kreuzzuges wirkten
die Ritter des Ordens bei Sultan Saladin (1169-1193) zugunsten einer
Neutralisierung der Verwundeten und erzwangen von ihm das Zugeständnis von
seinen Truppen, gefangen genommene Christen zu pflegen und zu betreuen. Das
gleiche geschah von Anfang an auf Seiten der Johanniter-Ritter. Dem Orden musste
also auch in der neuen Geschichte daran gelegen sein, dass dieses übernationale
Samaritergebot auch künftig über dem nationalpolitischen Prinzip auf den
Schlachtfeldern stehe. So war es selbstverständlich, dass Henry Dunant bei den
Johannitern in Berlin auf seiner Werbereise für eine internationale
Samariterkonferenz die erste und bedenkenlose Unterstützung fand.
König
Wilhelm I. von Preußen, der Protektor des Johanniter-Ordens auf preußischem
Boden, umgeben vom Kreis der Kommendatoren und Rechtsritter, stark beeindruckt
durch den Herrenmeister Prinz Carl, hat die Projekte Dunants begeistert
aufgegriffen. Roland Krug von Nidda erzählt in seiner Biographie über „Henry
Dunant, das Genie der Menschlichkeit", von den ersten Konferenzen mit
Kriegsminister v. Roon, mit Innenminister Graf Eulenburg und dem Kronprinzen
Friedrich im Jahre 1863. Im Berliner Regierungszentrum wurde zum ersten Mal der
Vorschlag gemacht, Feldlazarette und Sanitätspersonal zu neutralisieren. Zu
diesem Zweck wurde in Preußen der so genannte Preußische Hilfsverein gegründet.
Er stand unter dem Vorsitz des damaligen Ordenskanzlers, Otto Graf
Stolberg-Wernigerode. Der Innenminister Graf Eulenburg, der Militärarzt der
preußischen Armee, v. Langenbeck - beides Johanniter - gehörten dem Vorstand an.
Sie und Dunant berieten nun mit den Vertretern von sechs anderen deutschen
Ländern mit Vertretern Österreichs, Frankreichs, Italiens, Großbritanniens,
Russlands, Spaniens, den Niederlanden, Schweden-Norwegens und der Schweiz ein
„bisher noch nie diskutiertes Problem': Die Möglichkeit, zwischen militärischen
und zivilen Elementen auf dem Gebiet der Nächstenliebe eine Verbindung
herzustellen.
Als dann am
26. Oktober 1863 diese erste internationale Konferenz des späteren Roten Kreuzes
in Genf begann, fand die offizielle Unterstützung, die Preußen und die Balley
Brandenburg des Johanniter-Ordens Henry Dunant gewährten, sichtbaren Ausdruck.
Im Konferenzprotokoll sind folgende Sätze vermerkt, die zur Geschichte des
Ordens gehören: „Der General Dufour (Schweizer) macht den Vorschlag für die Wahl
des Vizepräsidenten: Glücklicherweise gibt es einen Ausweg aus diesen
Schwierigkeiten, aus so vielen Nationen eine geeignete Persönlichkeit zu wählen,
da ein Vertreter einer völlig neutralen Körperschaft, des Johanniter-Ordens
nämlich, zugegen ist. Der Ausschuss konnte also nichts Besseres tun, als Seiner
Hoheit, dem Prinzen Reuss, das Amt des Vizepräsidenten zu übertragen. Denn er
vertritt im eigentlichen Sinn nicht eine Nation, sondern eine Körperschaft, die
ein Ziel verfolgt, das dem unseren ähnlich ist. In einer Studie über Die Folgen
von Solferino (JohanniterOrdensblatt 1/1863) schreibt Graf Werner v.
Bassewitz-Levetzow: „Prinz Reuss war als Vertreter des Herrenmeisters des
Johanniter-Ordens zur Genfer Konferenz delegiert worden. Der Johanniterritter,
Prinz Reuss, wies nach, welche Erfolge der Orden mit der freiwilligen
Krankenpflege erzielt hatte und war damit für die Verhandlungen in Genf eine
große Stütze." Damit hat der Orden in einem historisch wahrscheinlich
entscheidenden Augenblick eine sehr wichtige Funktion übernommen: Er hat dem
Roten Kreuz an seiner Wiege etwas von jener geistigen Haltung weitergegeben, die
seit der letzten Jahrtausendwende ungebrochen bis zu diesem Augenblick durch das
achteckige weiße Kreuz, die acht Seligpreisungen symbolisierend, gepflegt worden
war. Das war wohl für Dunant eine große Stütze; denn er notierte später in einer
seiner vielen Schriften: „Noch im Jahr 1859 hatte ich das Wort Samariter recht
zaghaft ausgesprochen, weil ich den Vorwurf vermeiden wollte, ich verlange
zuviel. Diese Samariter, stets hilfsbereit in Friedens- wie in Kriegszeiten,
sind inzwischen zu den nützlichsten Stützen des großen humanitären Werkes
geworden, sie haben ein Recht auf allgemeine Bewunderung."
Freilich lag
in dem kleinen Wort des Protokolls über die Ziele des Roten Kreuzes, die denen
des Johanniter-Ordens „ähnlich" seien, bereits auch der wesentliche Unterschied
zwischen beiden Institutionen. Er war und ist darin begründet, dass der Orden
als geistlicher Ritterorden die Pflege des Kranken primär auch als eine
geistliche Aufgabe ansah und ansieht. Das Rote Kreuz war und ist bis heute,
entsprechend der Geisteshaltung jener Tage, in denen es aus der Taufe gehoben
wurde, das Produkt eines neuen Humanismus. In ihm vermischte sich allgemeine
Humanitas mit christlichen Prinzipien und modernen sozialen Vorstellungen, die
den freiheitlichen revolutionären Bestrebungen der 30er und 40er Jahre des
vergangenen Jahrhunderts entsprachen. Das geistliche Element war im Roten Kreuz
verborgener und, den Zeitströmungen entsprechend, weniger sichtbar als beim
Orden. Dies war andererseits auch notwendig; denn die Kirche hatte -
hervorgerufen durch die Revolution von 1789 und die neu entdeckten Funktionen
des Nationalstaates - nicht mehr das Gewicht in den Völkern Zentral- und
Westeuropas wie noch in der ersten Hälfte dieses Jahrtausends. Zudem hatte, nur
von wenigen Großen der damaligen Zeit erkannt, das industrielle Zeitalter
begonnen, das unsere Gegenwart charakterisiert. Es zwang den Europäern andere,
breiter angelegte Organisationsformen auf als das vorhergehende Zeitalter
zwischen dem 11. und 18. Jahrhundert. Damit wurde, vielleicht von den damaligen
Organisatoren noch unbemerkt, eine Zweiteilung der pflegerischen Aufgaben
vorgenommen.
Die eine in
der mehr und mehr massenorganisatorischen Form des Roten Kreuzes, ungebunden an
Religionen oder Konfessionen, mit ihren segensreichen Ausstrahlungen in alle
Länder des Erdkreises; die andere in der Form der vom Glauben her unternommenen
individuellen Pflege durch den Johanniter-Orden und den Malteser-Orden und seine
beiderseitigen personae ecclesiasticae, die Ritter, die als „Geistliche im
höheren Verstande", wie es der Frankfurter Prediger Dienemann in seiner
Ordensgeschichte aus dem Jahr 1767 formulierte, bei ihrem selbstgewählten Ziel
verharren mussten, den Menschen als Kind Gottes anzusehen. Hätten die Johanniter
anders gehandelt, sich anders entschieden, so hätten sie ihren geistlichen
Auftrag preisgegeben. So konnten sie also im Interesse eines neu entstehenden
Zeitalters das Rote Kreuz nur fördern. Sie konnten aber nicht selbst in ihm
aufgehen.
Als im Jahre
1863 der Krieg zwischen dem Deutschen Bund und Dänemark begann, und das Genfer
Komitee schneller als erwartet einer ersten Belastungsprobe ausgesetzt wurde,
war das Rote Kreuz selbst noch keine fest gefügte Organisation. Zwei Ärzte
handelten auf den Schlachtfeldern im Auftrag der neuen Genfer Institution. Der
eine war der holländische Arzt van der Velde. Er stand auf dänischer Seite. Der
andere war ein Schweizer Arzt namens Appia und vertrat das Genfer Institut auf
der Seite des Deutschen Bundes. Er gehörte zum Stab des preußischen
Oberkommandierenden und Rechtsritters des Johanniter-Ordens, Feldmarschall Graf
Wrangel. Den eigentlichen Dienst aber auf dem Schlachtfeld und an den Kranken
und Verwundeten versahen die Ritter des Johanniter-Ordens, des Malteser-Ordens,
die Diakonissen von Kaiserswerth und Bethanien in Berlin, die Brüder des Rauhen
Hauses in Hamburg, die Schüler des Philantropeums in Duisburg und katholische
Ordensschwestern. Sie alle bargen mitten im Kugelregen die Verwundeten und
pflegten sie in den vom Johanniter-Orden mit bedeutenden Mitteln errichteten
Kriegslazaretten. Darüber hinaus gab es ein paar „freiwillige
Sanitäts-Detachements en miniature", wie Dr. Löffler in seinen drei großen
Erfahrungsberichten über den Gesundheitsdienst im Feldzug gegen Dänemark und
über das preußische Sanitätswesen geschrieben hat. Erst nach Beendigung dieses
Krieges wurde die auf den Schlachtfeldern gesammelte Erfahrung in der Ersten
Genfer Konvention niedergelegt und auf zwei internationalen Konferenzen in Genf
besprochen und unterschrieben.
Die
entscheidende Feuerprobe für die neue Genfer Konvention wurde dann der Krieg
zwischen Preußen und Osterreich im Jahre 1866. Es ging um die freie Verfügung
über Schleswig und Holstein. Osterreich war der Genfer Konvention noch nicht
beigetreten. König Wilhelm von Preußen teilte daher als Protektor des
Johanniter-Ordens und als Vertreter der Unterzeichnungsmacht Preußen der Genfer
Konvention den in Böhmen operierenden österreichischen Heerführern mit, „dass
die preußischen Truppen in Erwartung gegenseitiger Maßnahmen angewiesen sind,
die durch die Genfer Konvention geschützten Humanitätsrücksichten durch die
österreichischen Sanitätsbeamten und -Anstalten zu üben." Ein französischer
Philantrop und Freund Dunants würdigte damals die Aktivität der preußischen
Krone mit den Worten: „Diese Hochherzigkeit stand in vollständigem Einklang mit
der preußischen Überlieferung und dem Schutz, den sein Könighaus von Anfang an
bis zum heutigen Tag den menschenfreundlichen Gedanken angedeihen ließ, welche
die Grundlage der Genfer Konvention bilden." Auch hier also der Hinweis auf die
durch den Johanniter-Orden in die preußische Geschichte hineingetragene Idee des
selbstlosen Samariterdienstes, der sich auf den Schlachtfeldern von Gitschin und
Königsgrätz erneut bewähren sollte. Da die 54 bei Kriegsbeginn mobilisierten
leichten und schweren Feldlazarette nicht ausreichten, um den vielen tausend
Verwundeten auf beiden Seiten gerecht zu werden, griff eine
Gruppe von
Zivilärzten des Berliner Hilfsvereins zusammen mit Mitgliedern des
Johanniter-Ordens und mit Breslauer Studenten aus eigener Initiative ein, um die
Verwundeten, vorwiegend auch die Österreicher, vom sichern Tode zu erretten. Sie
improvisierten Verbandsplätze, errichteten Lazarette in leeren Wohnhäusern,
organisierten Transportwagen für Verwundete und halfen so dem militärischen
Sanitätsdienst der Preußen, eine fast unlösbare Aufgabe zu bewältigen. In den
ersten Julitagen des Jahres 1866 war „praktisch jedes Dorf zwischen Elbe und
Bistritz zum Lazarett geworden" (Krug von Nidda).
Sofort nach
Beendigung dieses Krieges reiste Henry Dunant, um letzte Erfahrungen
auszutauschen, eingeladen von Königin Augusta, an den preußischen Königshof.
Graf Otto v. Stolberg-Wernigerode, der Ordenskanzler, war ihm als persönlicher
Begleiter zugeteilt - eine Achtungsbekundung, die sonst nur ausländischen
Fürsten zuteil wurde. Dunant nahm damals an den Festlichkeiten zu Ehren der
heimkehrenden Soldaten teil. Den Vorbeimarsch der siegreichen Truppen auf dem
Schlossplatz in Berlin erlebte er auf einer Tribüne, die neben der Königsloge
den Rittern des Johanniter-Ordens vorbehalten war. Auch sie trugen damals die
weiße Armbinde mit dem roten Kreuz. Dunant schrieb dazu in seinen Erinnerungen:
„Niemals werde ich den Eindruck vergessen, als ich auch hier auf Tribünen,
Estraden, dem Schloss, den Triumphbögen, sogar auf dem königlichen Zelt neben
der preußischen Fahne jene weiße Flagge mit dem roten Kreuz erblickte, für die
ich so sehr gekämpft hatte." Der Königin Augusta gestand er in seinen
Erinnerungen zu, „die erste internationale Samariterin in Deutschland" zu sein.
Dem
preußisch-österreichischen Krieg folgte wenig später der deutsch-französische
Krieg 1870/71. Es war der erste, in dem das Rote Kreuz bereits mit allen Mitteln
der neuen Organisationskunst arbeitete. Auf dem Schlachtfeld von Königgrätz
hatte die Genfer Organisation ihre Erfahrungen gesammelt. Aber die Zeit war zu
kurz gewesen, als dass es ihr bereits hätte gelingen können, ein eigenes
Sanitätswesen auf die Beine zu stellen. Auch den kämpfenden nationalen Parteien
war es noch nicht möglich geworden. Umso wichtiger aber war es, dass der
Johanniter-Orden während des Feldzuges gegen Frankreich Feld- und Heimlazarette
einrichtete, Verbandsstoffe und Stärkungsmittel heranschaffte und für
zusätzliche Transportmittel - genau wie während des Krieges 1866 Sorge trug. Die
vielen im Felde wie zu Hause tätigen Ritter trugen für diese Aufgabe eine eigene
schwarze Felduniform, so wie das bis heute im englischen Order of St. John
üblich ist. Eduard Senftleben, Wolfgang Foerster und Gerhard Liesner schrieben
dazu in ihrem großen Werk „Unter dem Roten Kreuz im Weltkriege, das Buch der
freiwilligen Krankenpflege": „Johanniterkolonnen, eine jede bestehend auf 20
Felddiakonen mit dem nötigen Transportgerät, geführt von Rittern, leisteten
willkommene Hilfe bei der Beförderung der Verwundeten. In eigenen Krankenhäusern
und Lazaretten, die von dem Ritterorden bereitwilligst zur Verfügung gestellt
wurden, widmeten sich hunderte helfender Brüder und Schwestern der Pflege ...
Studenten aller Fakultäten aus den verschiedensten deutschen Universitäten. z.
T. geführt von ihren Professoren, Heilgehilfen und Krankenwärter, Turner aus den
tausend Vereinen des Landes als Krankenträger und Pfleger, freiwillige Ärzte in
großer Zahl, Diakone und Diakonissen aus allen Teilen Deutschlands, aus Berlin
und Hamburg, Duisburg, Kaiserswerth und Nürnberg, aus Sachsen und Württemberg,
Brüder und Schwestern vieler katholischer und evangelischer Orden - in solch
bunter Zusammensetzung sehen wir die freiwillige Krankenpflege tätig in den
Kolonnen, den Sanitäts-Krankenträger- und Nothelferkorps, auf dem Schlachtfelde,
oft im feindlichen Feuer, beim Transport der Verwundeten und Kranken, in den
Lazaretten und in den Depots,
in den
vielen, vielen Verpflegungs-, Verbands- und Obernachtungsstellen im Feindesland
und in der Heimat."
So bewährten
sich zum ersten Mal die nationalen Rotkreuzvereine, bei deren Gründung in den
einzelnen deutschen Landschaften der Johanniter-Orden Pate stand. Der Königliche
Kommissar und Militärinspekteur der freiwilligen Krankenpflege, Fürst Hans
Heinrich XI. von Pleß, selbst Johanniter-Ritter, „ernannte die Landes-,
Provinzial- und Bezirksdelegierten für sämtliche Staaten des Norddeutschen
Bundes und auch für die Großherzogtümer Hessen und Baden; ebenso bald darauf die
Delegierten für das Feld. Den größten Teil seiner Delegierten entnahm der
Königliche Kommissar den Ritterorden. Mehrere hundert Ritter wurden als solche
auf den Kriegsschauplatz entsandt oder fanden in den Lazaretten und Depots im
Feindesland und in der Heimat als Verwalter, Ärzte, Geistliche und
Transportkommissare Verwendung."
In den
Erinnerungen des verwundeten Franzosen Hektor Mallot steht der Satz geschrieben:
„Mitten unter den französischen und bayerischen Verwundeten gingen freiwillige
Krankenpfleger, Ritter des Johanniter-Ordens, Diakonissen und Barmherzige
Schwestern umher." Das war das Resümee, das ein Ausländer über die aufsteigende
Ordensarbeit in drei blutigen Kriegen der modernen Geschichte gegeben hat.
Zugleich aber wurde - vom Verfasser sicherlich ungewollt - anerkannt, welches
Gewicht und welches Ansehen sich die Ordensarbeit im Frieden erworben haben
musste, wenn sie im Kriege auf solches Echo stoßen konnte.
Tatsächlich
waren diese Aktionen des Ordens schon lange vor diesen drei Kriegen in der
zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts vorbereitet worden. Im Jahre 1854 hatte der
Geheime Regierungsrat im Preußischen Innenministerium v. Motz zwei Schriftstücke
ausgearbeitet mit dem Titel: „Wie kann der Johanniter-Orden im Falle eines
Krieges tätig werden?" und „Entwurf über die Thätigkeit des Johanniter-Ordens im
Falle eines Krieges." Die beiden Schriftstücke wurden damals an die Regierenden
Kommendatoren versandt. Sie legten ihnen nahe, die nicht mehr für den
Kriegsdienst geeigneten Ordensritter so auszubilden, dass sie im Ernstfall „im
genossenschaftlichen Verbande der Sorge für die Verwundeten und Kranken sich
unterziehen sollen". (v. Winterfeld). Dr. Wichern der Jüngere hatte sich
Gedanken dieser Art und die Kriegserfahrungen zwischen 1863 und 1871 zum Vorbild
genommen und im Jahre 1886 eine „Genossenschaft freiwilliger Krankenpfleger im
Kriege" ins Leben gerufen. Alljährlich wurden zunächst Zoo Männer ausgebildet,
die für den Kriegsfall zur Verfügung des Roten Kreuzes gehalten werden sollten.
Die Innere Mission und das Rauhe-Haus übernahmen dabei die Kosten der
Ausbildung. Diese Tätigkeit dehnte Wichern systematisch bis nach Süddeutschland
aus. Auch dabei halfen die Ritter des Johanniter-Ordens, damit man für spätere
Notzeiten noch besser gerüstet sei als in der Vergangenheit. Ein anderes
Ergebnis war die Gründung der eigenen Schwesternschaft des Johanniter-Ordens im
Jahre 1885. Auch sie lag im Zuge der Zeit; denn schon vor dem
Deutsch-Französischen Krieg hatten sich deutsche Frauenvereine der Ausbildung
weltlicher Berufskrankenpflegerinnen gewidmet. Was also lag näher, als im
gleichen Zusammenhang dem Orden auch eine moderne Schwestern-Institution zu
geben, die zu ihrem Teil die alte Tradition der „Dienenden Brüder" fortführte!
Außerdem waren viele der Kriegsteilnehmer von drei Kriegen, die in einem
Zeitraum von sieben Jahren geführt worden waren, noch lange Jahre nach dem Ende
des Deutsch-Französischen Krieges pflegebedürftig. Hier sprangen nun die sich an
Zahl ständig ausdehnenden Krankenhäuser des Johanniter-Ordens tatkräftig ein.
Auch das trug dazu bei, ihre ursprünglich geringfügige Bettenzahl um ein
Vielfaches gerade in diesen Jahren zu steigern. Der Opfergroschen war in dieser
Zeit für den Orden wichtiger denn je.
Gleichzeitig
entstand für den Orden das Gebot, für die Witwen und Waisen der Kriegsgefallenen
Sorge zu tragen.
Dieser
Kontakt zwischen dem Johanniter-Orden und den Landesvereinen vom Roten Kreuz
riss in Friedenszeiten nicht ab, weil der Erfahrungsaustausch einfach
unerlässlich notwendig war. Dem Kaiserlichen Kommissar und Militär-Inspekteur
der freiwilligen Krankenpflege war an diesem Austausch sehr viel gelegen; denn
im Ernstfall mussten ja alle Organisationen zusammenwirken. Im Ernstfall mussten
auch die Krankenhäuser und das Pflegepersonal der Ordensritter voll zur
Verfügung stehen. Diese straffe organisatorische Arbeit bewahrte den Orden und
die meisten seiner Mitglieder - ähnlich wie es ein Jahrhundert zuvor bei der
Urbarmachung des Oderbruchs gewesen ist - vor einer Zeitkranktheit, die mit den
gewonnenen Kriegen zusammenhing: Die innere Befriedigung einer
Wohlstandsgesellschaft, die nach der Gründung des Deutschen Reiches, nach der
Erfüllung eines großen Traumes in der deutschen Geschichte das Leben im zweiten
Deutschen Kaiserreich kennzeichnete. Schon frühzeitig, während des Entstehens
der Krankenhäuser des Ordens, wurden von der Ordensregierung Verträge mit
einzelnen Diakonissen-Mutterhäusern abgeschlossen, die ein Zusammenwirken
zwischen den Johannitern und den evangelischen Diakonissen sicherte. In den
Diakonissenhäusern wurden zunächst die eigenen Schwestern des Ordens
herangebildet, die dann gemeinsam mit den Diakonissen den Pflegedienst in den
Ordensanstalten übernahmen. Die dadurch entstehenden Kosten hat der Orden
getragen. Unter dem Nachfolger des im Jahre 1883 verstorbenen Herrenmeisters,
Prinz Karl, wurden schließlich einzelne Verträge und Vereinbarungen getroffen,
die die Abgabe von Diakonissen und Diakonen an den Johanniter-Orden im
Kriegsfalle vorsahen. Diese Verträge tragen die Unterschrift des neuen
Herrenmeisters, Prinz Albrecht von Preußen, der am 6. März 1883 das Regiment im
Orden übernommen hatte. In den 24 Jahren seines Herrenmeistertums hat er, der
Neffe von Kaiser Wilhelm I., der Sohn seines jüngsten Bruders, als Prinzregent
von Braunschweig gemeinsam mit einem festen Stamm von Ordensrittern die unter
Prinz Carl eingeleitete Erneuerung und Modernisierung der gesamten Ordensarbeit
vertieft und gefestigt.
Ohne diese
Vorbereitungen, die den Orden vor einer inneren Erschlaffung bewahrten, hätte
der Orden während des ersten Weltkrieges nicht die Arbeit leisten können, die
ihm die Achtung aller Parallel-Institutionen, besonders die des Roten Kreuzes,
eingetragen hat. Die jüngeren Ordensritter zogen mit ihren Regimentern ins Feld.
279 Johanniter-Ritter fielen vor dem Feind. Die älteren und jene, die an der
Front nicht verwendet werden konnten, hatten sich als Delegierte zur Verfügung
gestellt. Wer ein halbes Jahrhundert nach Beginn des ersten Weltkrieges die
Delegiertenlisten aus der Etappe durchblättert, die Territorial- und
Korpsbezirksdelegierten der Freiwilligen Krankenpflege nachliest, wer das lange
Namenregister der Delegierten in den Reservelazaretten der Heimat durchgeht oder
die Namen der Delegierten in den Festungslazaretten, bei den
Linienkommandanturen des Feldeisenbahnwesens, bei den Abnahmestellen und bei der
Marine überfliegt, wird eine Unsumme von Namen entdecken, die zur Tradition des
Johanniter-Ordens gehören. Aus diesen Listen spricht allein schon, wie groß der
Bedarf an Menschen war, die sich mit einiger Erfahrung für dieses Werk der
Krankenpflege im Kriege zur Verfügung stellen konnten. „In den verschiedensten
Dienststellen, Formationen und Organisationen waren die Ordensritter tätig: als
Delegierte beim Kaiserlichen Kommissar im Großen Hauptquartier und im Beirat des
Stellvertretenden Militärinspekteurs, als Delegierte in der Etappe und in der
Heimat, in Feld- und Heimatlazaretten, als Obhut-Ritter in Reserve- und
Festungslazaretten, als Führer von Verwundeten-Transport-Abteilungen, als Führer
und Begleiter der Lazarettzüge, als Leiter von Liebesgaben-Sammelstellen, als
Führer von
Schwesterntransporten, sie waren tätig in den Fürsorgeorganisationen für unsere
Krieger an der Front und in den Lazaretten, in den Organisationen zur Besserung
des Loses kriegsgefangener Deutscher und wo es sonst zu helfen und Not zu
lindern galt." Damit kennzeichnet das Rote Kreuz in seinem Buch über „Die
freiwillige Krankenpflege im Kriege" die Tätigkeit der Ordensritter. Ergänzend
wird dann hinzugefügt: „Die zahlreichen Krankenanstalten und Heime, welche die
Ritterorden im Frieden in Besitz hatten, öffneten bei Kriegsbeginn
bereitwilligst ihre Tore zur Aufnahme verwundeter und kranker Soldaten.
Ordensritter versahen in diesen Ordensanstalten den Aufsichts- und
Verwaltungsdienst als Delegierte ihrer Ritterschaft. Über das Pflegepersonal in
diesen Anstalten heißt es dann: „Lazarettrupps stellten die Orden auf,
entsprechend den Verpflichtungen, die sie in Friedenszeiten übernommen hatten.
Die Trupps wurden von Ordensrittern geführt. Das Pflegepersonal wurde ganz oder
zum Teil vom Orden gestellt. Die Kosten für Bekleidung und Ausrüstung übernahmen
die Ritterorden. Schwestern und Brüder, die eine Ordenstracht trugen, behielten
diese auch bei der Krankenpflege im Felde bei. Grosse Mengen von Liebesgaben für
die Truppen im Felde und für die Lazarette in Feindesland und in der Heimat
wurden gesammelt. Die für das gesamte Liebeswerk verausgabten hohen Beträge
wurden fast ausschließlich durch freiwillige Spenden der Ritter aufgebracht. In
den Lazaretttrupps des Johanniter-Ordens zogen Diakonissen und
Johanniter-Schwestern gemeinsam unter Führung von Johanniter-Rittern und
Rote-Kreuz-Delegierten ins Feld. Im Ganzen wurden vom Johanniter-Orden gegen
15oo Diakonissen aus 37 Diakonissenhäusern stammend - und etwa 400
Johanniter-Schwestern in die Etappe entsandt, außerdem noch 300 Brüder der
Diakonenanstalt Duisburg. Im Heimatgebiet hatte der Orden 64 Lazarette mit rund
4000 Betten bereitgestellt; sie alle waren die ganze Kriegszeit hindurch mit
Verwundeten und Kranken aus dem Felde belegt. Dazu kam noch eine Anzahl von
Lazaretten, die von einzelnen Johanniter-Rittern auf eigene Kosten unterhalten
wurden. In den heimatlichen Pflegeanstalten standen etwa 700 Diakonissen und
Johanniter-Schwestern im Dienst. In den Lazaretten Groß-Berlins übte eine
Auskunftsstelle für Verwundete, die der Orden unterhielt, eine segensreiche
Tätigkeit aus. Neben seinen etwa 1.100.000,- Mark betragenden Ausgaben für seine
Krankenhäuser brachte der Johanniter-Orden noch 1.300.000,- Mark für sein
Liebeswerk durch Sammlungen auf, die fortdauernd während des Krieges unter
seinen Rittern veranstaltet wurden."
Einen
besonderen Ruf erwarben sich die drei Lazarettzüge mit dem weißen
Achtspitzenkreuz, die während der vierjährigen Kriegsdauer etwa 57.000
Verwundete aufnahmen und sie von allen Kriegschauplätzen in die heimatlichen
Lazarette brachten. Sie wurden zumeist von mindestens zwei Ordensrittern
begleitet. Die Pflege wurde von Ärzten, unter denen sich wiederum
Johanniter-Ritter befanden, von Johanniter-Schwestern und Schwestern des Roten
Kreuzes versehen. Der erste Lazarettzug begann seine Fahrten Ende November 1914.
Am 26. November 1918 wurde er außer Dienst gestellt. Er war gestiftet worden von
den Genossenschaften der Provinzen Sachsen und Brandenburg. Er hat in dieser
Zeit 155.513,3 km zurückgelegt, 698 Offiziere, 24.447 Mannschaften, 62
Schwestern und 267 Gefangene befördert.
In einem
Bericht, den einer der Zugbegleiter im Jahre 1919 niedergelegt hat, heißt es u.
a.: „Die Fahrten nach dem Osten und Südosten waren einfache Transportfahrten und
brachten uns nicht in Berührung mit den Kampfhandlungen. Anders die Fahrten nach
dem Westen, besonders im Sommer 1916 während der Sommeschlacht und auch später.
Luden wir doch östlich Baupaume Schwerverwundete ein, welche uns direkt aus dem
Schützengraben gebracht wurden. Dort machten wir auch die erste Bekanntschaft
mit Fliegerbomben... Die immer stärker werdende Wirkung der feindlichen
Flieger im
Etappengebiet machte die Fahrten oftmals recht ungemütlich, von Namur und
Saarbrücken an fuhr man im Gefahrengebiet mit geblendeten Lichtern und manche
Nacht verbrachte man in der Sorge, dass einmal ein Angriff die gefürchtete
Wirkung auch für uns haben könne, wie es bei anderen Zügen der Fall war. Für
einen Lazarettzug gibt es eben keine Heldenkeller, sondern man hat auszuharren
bei seinen Verwundeten, deren begreifliche Nervosität zu beruhigen. Abgeblendete
Lichter ist ein schlimmes Wort für einen Lazarettzug, und das Einladen von
Verwundeten bei Nacht im Dunkeln eine schwere Arbeit, die hohe Anforderungen
stellt." Der Berichterstatter, Rechtsritter Frhr. v. Seckendorf-Meuselwitz,
schildert den Abtransport des letzten Lazarettzuges der Johanniter aus dem
Westen nahe Namur. Die Front war damals dem Zusammenbruch nahe. Seine
Bestandsaufnahme lautete: „Außer den 51 Schwestern, den Geistlichen, Offizieren
usw. hatten wir 550 Verwundete im Zuge und 280 Mann auf den Dächern. Rund 1000
Personen statt 250."
So große
Anerkennung der Arbeit des Ordens im Kriege auch geworden war - der unglückliche
Kriegsausgang und die Änderung der Staatsform in Deutschland stellte den Orden
vor eine völlig neue und in seiner Geschichte noch nicht aufgetretene Situation.
Die Balley Brandenburg war von Anfang an engstens mit dem Hohenzollernhaus
verbunden. In den letzten 250 Jahren war jeder der Herrenmeister aus dem
Hohenzollernhaus gewählt worden. Der König von Preußen war der Protektor des
Ordens gewesen. Das alles war mit der Abdankung Kaiser Wilhelm Il. am 9.
November 1918 und mit der Unterschrift unter den Friedensvertrag von Versailles
am 28. Juni 1919 zu Ende gegangen. Die Hohenzollern waren nicht mehr länger das
Fürstenhaus, das Deutschlands Geschicke mitbestimmen konnte. Die
Johanniter-Ritter mussten sich daran gewöhnen, fortan in einer Republik dem
alten Ideal zu dienen. Das war für sie mit einer geistigen Umstellung verbunden,
die keineswegs allen Rittern leicht fiel. Dazu war die Treue zur Monarchie und
zu den angestammten Fürstenhäusern zu sehr in den Familien verwurzelt, aus denen
die Ritter des Ordens stammten. Zu stark wurde der erste Reichspräsident
Friedrich Ebert mit jenem Marxismus identifiziert, der, beginnend mit Marx und
Bebel, ein atheistisches Gesicht offenbarte. Die Verbundenheit zwischen Thron
und Altar, die auch die Balley Brandenburg im 19. und zu Beginn des 20.
Jahrhunderts mit einschloss, ließ begreiflicherweise Eberts gutes nationales
Wollen gegenüber der Ideologie der Sozialdemokratie in den Hintergrund treten.
Die Revolution im November 1918, die mit dem Sturz der deutschen Fürstenhäuser
endete, konnte unter den Ordensrittern keine Anhänger haben. Der zweite
Reichspräsident, Paul von Hindenburg, ein überzeugter Monarchist, machte es
ihnen leichter, in dieser ersten deutschen Republik heimisch zu werden, zumal
Hindenburg selbst dem Orden als Ehrenkommendator angehörte. Ein Ersatz für
Vergangenes freilich war auch diese Symbolfigur nicht. Umso stärker wahrte der
seit 1907 amtierende Herrenmeister, Prinz Eitel Friedrich, ein Sohn Kaiser
Wilhelms II., die Kontinuität. Die Verbindung des Ordens zu den Hohenzollern,
die seit dem Markgrafen Friedrich zu Brandenburg im Jahre 1610 ohne
Unterbrechung den Herrenmeister des Ordens gestellt hatten, war gewahrt worden.
Zudem
sorgten die beiden Präsidenten der Weimarer Republik dafür, dass die alten
Funktionen des Ordens in vollem Umfang aufrechterhalten wurden. Die 45
Ordenshäuser, Krankenanstalten, Kurhäuser, Lungenheilstätten und Altenheime
waren in diesen Jahren mit vielen Kranken und Schwerverwundeten aus dem Kriege
belegt. Arbeit und Pflege für deren Heilung trugen dazu bei, den Orden und seine
Ritter über manche politische und über schwerwiegende nationale Enttäuschungen
hinwegzuführen. Der Aufbau der Schwesternschaft ging weiter. Die Krankenhäuser
mit dem Schwerpunkt in der Neumark, in Pommern, Ostpreußen, Schlesien,
Mecklenburg,
Sachsen und
der Provinz Sachsen wurden weiter ausgebaut. Die schweren Erfahrungen des ersten
Weltkrieges wurden teils in Zusammenarbeit mit dem Roten Kreuz, teils in
Gesprächen mit dem Malteser-Orden ausgewertet.
Dennoch
zeigten sich da und dort begreiflicherweise gewisse Lockerungserscheinungen im
Orden. Gerade um die alte Tradition zu wahren und zu dokumentieren, wurde die
Ordendekoration nicht selten als Instrument gesellschaftlicher Repräsentation
verwandt. Darin lag der Versuch, die aus dem vergangenen Jahrhundert überkommene
Gesellschaftsordnung vor ihrer Zersetzung und Auflösung zu bewahren. Mag das
auch ein Versuch mit untauglichen Mitteln gewesen sein - er war subjektiv sehr
redlich gemeint. Er schöpfte aus den konservativen Idealen der Vergangenheit,
die zwangsläufig allen Extremen von rechts und von links abhold waren. Gerade
dadurch machte sich der Orden schon in den Jahren vor 1933 bei den
Nationalsozialisten verdächtig.
Der
Johanniter-Orden hatte keinen Anteil an der extremen Rechtsbewegung. Der
Herrenmeister, Prinz Oskar, der im Jahre 1927 die Nachfolge seines Bruders Eitel
Friedrich übernommen hatte, hielt die Zügel straff in seiner Hand. Daran konnte
auch der Umsturz des 30. Januar 1933 nichts ändern. Solange aber Hindenburg
Reichspräsident war, war nicht damit zu rechnen, dass dem Orden Abträgliches
geschehe. Selbst Johanniter-Ritter, hielt er seine Hände schützend über das
Ordenswerk. Andreas Dorpalen schreibt in seinem Buch „Hindenburg in der
Geschichte der Weimarer Republik" über seine Haltung zum Orden: „Bei einer
Kabinettsitzung im Mai 1934 warf Göring die Frage auf, ob der Malteser- und der
Johanniter-Orden noch bestehen bleiben sollten; er sei darüber sehr im Zweifel,
weil zum Beispiel der Johanniter-Orden nur Adligen offen stehe. Hier meldete
sich nun Meißner, der monatelang den Kabinettsitzungen schweigend beigewohnt
hatte, plötzlich zu Wort und forderte mit Nachdruck, jede Entscheidung in dieser
Frage aufzuschieben, bis er mit dem Präsidenten gesprochen habe. Kabinettsitzung
vom 15. Mai 1934, Akten der Reichskanzlei R 43 1/1469." Mit seinem Tode im
Sommer 1934 war dem Johanniter-Orden dieser Schutz genommen. Der Repräsentant
des konservativen Ideals innerhalb der ersten deutschen Republik hatte innerhalb
der Staatsführung nun keinen Nachfolger mehr. Es war daher absolut konsequent,
dass die nationalsozialistische Staatsführung unter Hitler nicht nur den
jährlichen Ritterschlag auf Schloss Sonnenburg verwehrte, sondern zudem die
Ordenszeichen von den Uniformen verbannte. Umso intensiver aber besannen sich
die Ritter gerade in dieser Zeit ihrer Aufgaben in den Krankenhäusern; umso
selbstverständlicher wurde das Einvernehmen unter den Ordensbrüdern, ohne dass
es dazu vieler Worte bedurft hätte. Gerade in diese Jahre fällt eine ganze Reihe
von Schenkungen an den Orden. Ordensritter haben zum Teil in ihrem Testament
Güter in Ost- und Westpreußen den Johannitern vermacht, um so die materiell
schwachen Fundamente des Ordens zu verbreitern.
Man mag nach
Beendigung des zweiten Weltkrieges die Frage stellen, warum der bei Hitler und
seiner Umgebung so unbeliebte Johanniter-Orden dennoch im „Dritten Reich" durch
seine Ritter Dienst am Staat getan, warum Johanniter als Soldaten und Beamte den
Eid auf den „Führer und Reichskanzler" geleistet haben, zumal die herrschende
Partei durch einen Erlass des „Stellvertreters des Führers" vom 7. September
1938 die Ordensmitglieder vor die Alternative gestellt hatte, entweder dem Orden
oder der Partei anzugehören. Eine gleichzeitige Mitgliedschaft in beiden
Organisationen war verboten worden. Nur eine geringe Zahl von Ordensrittern
musste oder wollte sich diesem Entweder - Oder beugen. Die Ritterschaft im
Ganzen blieb ungebrochen beisammen. Ihr Dienst im Heer war in den meisten Fällen
eine Flucht vor dem Zwang, den die Partei ausübte. Vielfach wurde unter dem
Herrenmeister Prinz Oskar die durch die Partei gestellte Alternative auch damit
beantwortet, dass die Mitgliedschaft einzelner Ritter im Orden ruhte, dass die
Beiträge weiter bezahlt wurden, dass aber die Dekoration nicht getragen wurde.
Wie ernst die Nationalsozialisten bis hin zu den höchsten Spitzen des
Sicherheitsdienstes das Verbot erwogen haben, zeigt eine Reihe von Dokumenten,
die im Jahre 1963 vom Staatsarchiv der Vereinigten Staaten von Amerika an das
Bundesarchiv in Koblenz übergeben wurden. Noch vor Beginn des Russlandfeldzuges
schrieb der Leiter der Parteikanzlei, Martin Bormann, an den Leiter des
Sicherheitsdienstes, den SS-Gruppenführer Heydrich, den folgenden Brief: „In der
Anlage übersende ich Ihnen Fotokopie der Nummer 4 des diesjährigen
Johanniter-Ordensblattes mit der Bitte um Kenntnisnahme. Es ist sehr schade,
dass dieser Johanniter-Orden noch nicht aufgelöst werden konnte. Wir müssen
annehmen, dass alle Johanniter bezüglich des ehemaligen Kaisers der gleichen
Auffassung sind wie ihr Herrenmeister; jetzt während des Krieges steht aber eine
große Anzahl von Johannitern erneut in der Wehrmacht." Dieser Brief trägt das
Datum: „Führerhauptquartier 7. 7. 1941." Er bezieht sich auf einen Nachruf, den
der Herrenmeister, Prinz Oskar, dem am 4. Juni 1941 verstorbenen letzten
Deutschen Kaiser, seinem Vater, gewidmet hat und der selbstverständlich den
ehrerbietigen Respekt vor dem langjährigen Protektor des Ordens wiedergibt.
Der mit
diesem Brief angestoßene Stein rollte vier Jahre bis zum Kriegsende. Die
Parteikanzlei, der Reichsführer-SS, der Chef der Sicherheitspolizei und des
Sicherheitsdienstes und das Reichssicherheitshauptamt diskutierten die Auflösung
des Ordens bis zum November 1944 Immer wieder ist die Treue der Ordensregierung
zum letzten Deutschen Kaiser der Anstoß. Unter jedem Brief steht ausdrücklich
die Bitte um „beschleunigte Stellungnahme" der Parteispitzen vermerkt. Häufig
werden wenigstens Zwischenbescheide angemahnt, bis endlich der Bescheid ergeht:
„ ..Offenbar wollte der Johanniter-Orden eine Bestätigung seiner alten, ihm
durch königliche Privilegien verliehenen Rechte (im Warthegau) erreichen. Die
Parteikanzlei vertrat die Auffassung, dass es keinem Zweifel unterliegen könne,
dass die alten königlichen Privilegien spätestens im Jahre 1939 verloren
gegangen sind. Im Einvernehmen mit der Parteikanzlei ist von hier aus davon
ausgegangen worden, dass der Erwerb der Rechtsfähigkeit auf Grund einer
Eintragung in das Vereinsregister unerwünscht sei, da der Johanniter-Orden
hierdurch eine neue feste Organisationsform erhalten würde. Die Parteikanzlei
hat vorgeschlagen, die Angelegenheit. vorerst ruhen zu lassen und die
Entscheidung bis Kriegsende zurückzustellen." Dieser Vermerk findet sich in
einem vom Reichssicherheitshauptamt an den „Persönlichen Stab des Reichsführers
SS" geschriebenen Brief, der das Datum vom 24. November 1944 trägt. Man wollte
also offensichtlich vermeiden, dass erneute harte Auseinandersetzungen mit den
Vertretern der alten adeligen Geschlechter, die schon am 20. Juli ihr
eigentliches Profil gezeigt hatten, an der kämpfenden Front Beunruhigung
schaffen. Der Ductus der Briefe allerdings lässt den Schluss zu, dass ein für
die Nationalsozialisten siegreicher Ausgang des Krieges unweigerlich auch das
Ende des Johanniter-Ordens mit sich gebracht hätte. Hitler und sein Stab
schwiegen während des Krieges Probleme dieser Art bewusst tot. Sie waren für sie
in Krisenzeiten nicht zu lösen. Es war für sie genug, dass der Johanniter-Orden
aus dem äußeren Bild des Deutschen Reiches verschwunden war, wenngleich seine
Schwesternschaft im Kriege genau so ihren Dienst verrichtete, wie es die Ritter
in den einzelnen Ordenshäusern getan haben. Freilich geschah das alles nicht
mehr, wie noch im ersten Weltkrieg, unter dem eigenen Zeichen des Ordens oder
unter der eigenen, für den Orden gewohnten schwarzen Uniform.
Der
Kriegsausgang bedeutete aber nun für den Orden - ähnlich dem Kriegsausgang von
1918/19 wiederum einen tiefen Einschnitt in die Geschichte. Was in einem
Jahrhundert seit 1852 neu vom Orden aufgebaut worden war, ging über Nacht
verloren. Der Einbruch der sowjetischen Heere im Osten des Deutschen Reiches,
die Überflutung Mitteldeutschlands und die bedenkenlose Liquidation aller mit
Tradition behafteten Institutionen durch die sowjetische Besatzungsmacht nahmen
dem Orden so gut wie alle materiellen Fundamente. Die Balley verlor die
Johanniter-Krankenhäuser in Polzin (Regierungsbezirk Stettin), Schwerin
(Schwerin Warthe) und Sonnenburg (Neumark), dazu die Kuranstalt Marienbad in
Polzin. Die Pommersche Genossenschaft verlor die Krankenhäuser in Züllchow,
Lauenburg, Greifswald, Großmöllen. Die Preußische Genossenschaft verlor die
Krankenhäuser in Bartenstein, Dirschau, Wehrkirchen, Preußisch-Holland. Die
Schlesische Genossenschaft verlor die Krankenhäuser in Erdmannsdorf,
Reichenbach, Falkenberg (O.S.), Neusalz, Fraustadt, Saarau, Glatz, Trebbnitz und
Pless. Die Brandenburgische Genossenschaft verlor die Krankenhäuser Jüterbog,
Pritzwalk, Königsberg (Neumark). Die Mecklenburgische Genossenschaft verlor ihr
Krankenhaus in Ludwigslust, die Sächsische das ihre in Dohna-Heudenau, die
Provinzial-Sächsische ihre Krankenhäuser in Mansfeld, Genthin, Heiligenstadt,
Eisenberg, Stendal und Nebra. Das waren zusammen 3976 Betten und ein
Grundbesitz, der das wesentliche Vermögen des Ordens darstellte.
Die aus
diesen Landschaften stammenden Ritter, die einstmals opfern konnten, weil sie
über Grundbesitz verfügten, waren samt ihren Familien mit dem Einfall der
sowjetischen Heere plötzlich selbst Kranke, Flüchtlinge, Arme geworden. Sie
wurden wieder demütige Diener in einem bettelarm gewordenen Deutschland. Und
noch etwas war verloren gegangen, was der Orden in den Jahrhunderten besonders
gepflegt hatte: Die übernationale Verbundenheit mit den Ritterbrüdern in
Schweden, in den Niederlanden und in Großbritannien. Die Schweden und die
Niederländer gehörten noch bis zum Kriegsbeginn der Balley Brandenburg an. Sie
sahen in Sonnenburg so gut ihr Ordenszentrum wie alle anderen Genossenschaften,
zu denen im Übrigen nach dem ersten Weltkrieg auch die Ungarn und die Finnen
getreten waren. Der Krieg, den Hitler mit der gesamten Umwelt des Deutschen
Reiches führte, legte den Ordensrittern in Schweden und Holland die bewusste
Distanzierung nahe. Damit wandelte sich auch das Ordenszeichen. An die Stelle
des zwischen den Kreuzbalken sichtbaren preußischen Adlers traten in Holland und
Schweden die Wappensymbole des schwedischen und des niederländischen
Königshauses. Das Ende des Krieges mit seinen Folgen dämmte zwangläufig die
Wirksamkeit und die Wirkungsmöglichkeit des Ordens so stark ein, dass sich
ernstliche Zweifel erheben mussten, ob er denn je seine alte Tätigkeit wieder
werde aufnehmen können.
Was dem
Orden geblieben war, waren 12 in Westdeutschland gelegene Krankenhäuser und
Anstalten, die zum Teil beschlagnahmt, zum Teil zerstört und zum Teil von den
Besatzungsmächten ihres eigentlichen Charakters entkleidet worden waren. Die
Balley verfügte noch über das Krankenhaus in Oberhausen-Sterkrade und das
Altersheim in Berlin-Lichterfelde-West. Die Hannoversche Genossenschaft verfügte
noch über die beiden Krankenhäuser in Gronau und Dannenberg, die Hessische über
das Krankenhaus in Niederweisel, die Rheinische über die Krankenhäuser in Bonn
und Dierdorf, die Schleswig-Holsteinische über eine Lungenheilstätte in Plön,
die Westfälische Genossenschaft über drei Häuser in Bad Oeynhausen (Ordenshaus,
Johanniterheim, Gästehaus) und eine Heilanstalt für Leichtlungenkranke in Bad
Lippspringe. Mit diesen Häusern begann nun das jüngste Kapitel der Geschichte
der Balley Brandenburg. Die Balley und die Genossenschaften versuchten alles, um
wieder in den Besitz ihres alten Vermögens zu kommen. Das war verbunden mit dem
Gedanken und auch dem inneren Drang nach einer Reaktivierung des Ordens. Beides
aber haben die westlichen Besatzungsbehörden am 7. März 1946 mit allem Nachdruck
abgelehnt. Die Balley wurde durch die Kriegsereignisse, durch die geistige
Verhärtung der Fronten
und durch
den verloren gegangenen Kontakt zu den angelsächsischen und niederländischen
Ordensrittern, die auf der anderen Seite gekämpft und Hitler Widerstand
geleistet hatten, als Parteigänger Hitlers betrachtet, obwohl doch der
Herrenmeister, die Prinzen des Hohenzollernhauses und der anderen Regierenden
Häuser auf Hitlers Geheiß ihren Dienst in der deutschen Wehrmacht liquidieren
mussten.
Prinz Oskar
gab den Gedanken nicht auf, dass der Orden doch noch wieder erstehen werde und
hielt gerade deshalb für zweckmäßig, während des Verbotes durch die
Besatzungsmächte „in Liquidation" zu gehen. Denn dadurch verschaffte sich der
Orden eine gewisse juristische Existenzberechtigung. Prinz Oskar war gleich
vielen anderen Ordensrittern mit einem Rucksack nach Westen gekommen. Drei Jahre
hindurch hat er daran gearbeitet, bis der Kontakt mit der aus den zwanziger
Jahren stammenden Schweizer Genossenschaft und mit den gleichgestimmten Orden in
England und Schweden wieder aufgenommen werden konnte. Der Schweizer
Genossenschaft und wohl auch dem Order of St. John ist dann jene Intervention
des Jahres 1948 zu danken, die der Balley Brandenburg seit den ersten
Januartagen des Jahres 1949 wieder die Arbeit ermöglichte. Das durch die
Besatzungsbehörden erlassene Verbot wurde aufgehoben. In einer denkwürdigen
Kapitelsitzung im Annastift zu Hannover-Kleefeld, eine Anstalt, an der der
Johanniter-Orden genauso beteiligt ist wie an Hephata (Mönchengladbach) oder an
der Kaiserin Auguste-Viktoria-Stiftung (Jerusalem), empfing der Herrenmeister
zum ersten Mal wieder eine Abordnung des Order of St. John. Sie bestand aus Sir
Harry Luke und Mr. Christopher Pirie-Gordon. Beide überbrachten die Botschaft
des Herzogs von Gloucester, Grand-Prior des Order of St. John. Ähnlich wie die
Kirchen Amerikas, Frankreichs, Großbritanniens in diesen ersten Nachkriegsjahren
die ersten waren, die ihren deutschen Brüdern wieder die Hand gaben und mit
ihnen gemeinsam, gestützt durch große materielle Spenden, das ökumenische
Aufbauwerk begannen, so reichten auch die Brüder des Order of John den Rittern
der Balley wieder die Bruderhand. Diese Versöhnung stand und steht am Anfang des
jüngsten Kapitels der Ordensgeschichte.
Die erste
Entscheidung von großer Bedeutung war die Aufgabe des von König Friedrich
Wilhelm IV. im Jahre 1852 neu gegründeten Prinzips, dass nur Mitglieder adeliger
Familien dem Johanniter-Orden beitreten könnten. In einer von dem späteren
Ehrenkommendator Gerhard v. Jansen niedergelegten kleinen Schrift wurde dieser
Beschluss vom 14. April 1948 mit folgenden Worten begründet: „Die Notwendigkeit
einer gewissen Verbreiterung des Johanniter-Ordens liegt nicht nur angesichts
der allgemeinen Zeitumstände nahe, sie drängt sich vielmehr nahezu auf, wenn man
von der Tatsache ausgeht, dass der Adel mit anerkanntem Adelstitel, also mit
adeliger Namensform seit 1918 einen numerus clausus darstellt, eine Gruppe von
Familien, die nicht mehr ergänzt werden kann, also unweigerlich über kurz oder
lang aussterben muss. Nimmt man dazu die noch kurzfristigere Gefahr des
Aussterbens durch Mangel an Zuzug aus der adeligen Jugend, so kann man an dem
Ernst der Lage nicht vorübergehen. Die Neuerung vom 14. April 1948, die ja gar
keine Neuerung ist, sondern nur einen Zustand wieder herstellt, der
grundsätzlich bestanden hat, bis 1852 eine gewisse Erstarrung der Form eintrat,
wurde teilweise so verstanden, als denke man aus materiellen Gründen an eine
Ergänzung aus bürgerlichen, zahlungskräftigen Kreisen. Es handelt sich aber um
etwas ganz anderes, nämlich um eine zeitgemäße Auffassung des Begriffs Adel. An
dem Inhalt des Adelsbegriffes ist nichts zu ändern, er ist ein biologischer und
historischer Tatbestand. Das muss immer betont und festgehalten werden. Es gibt
Familien, die in Generationen sich in ihre Verantwortung und ihre persönliche
Lebensführung soweit über dem Durchschnitt gehalten haben, die führend und
deshalb Verantwortungsträger waren, die das „noblesse oblige" zum Inhalt ihres
Lebens machten und Gott mehr gehorchten als den Menschen, die sich redlich be-
mühten,
alles dies weiterzugeben an ihre Kinder und Kindeskinder. Nun hat es zu allen
Zeiten Familien gegeben, die auch ohne die adlige Namensform zu den Edelleuten
zu rechnen waren. Es sei an die herrschenden Geschlechter in den Hansestädten
und in den Freien Reichsstädten erinnert, an Gelehrten- und Offiziersfamilien
mit langer Tradition, an den bürgerlichen Großgrundbesitz des Ostens und an
manche sehr alten Bauernfamilien. Einen Teil dieser Familien konnte die
Nobilitierung durch die Landesherren erfassen und als Ergänzung dem Adel laufend
zuführen. Das hat diesen vor dem Zusammenschrumpfen auf einen immer kleiner
werdenden, zum Aussterben verurteilten, historischen Kreis bewahrt, ihn lebendig
erhalten. Uns geht es im Johanniter-Orden um etwas Lebendiges, um ein
Wiedererwachen und Wiedererwachen adligen Lebens und Tuns, um den
Zusammenschluss der Wenigen, die sich in besonderem Maße verpflichtet fühlen,
als Christen und Edelleute und zwar nicht nur als Einzelpersonen, sondern mit
ihren Familien. Es kommt doch - uns Johannitern jedenfalls - nicht auf das
Äußerliche, auf eine inzwischen erstarrte Form an, sondern auf den Gehalt des
Menschentums, auf charakterliche Haltung und geistige Potenz. Dann gehören auch
diejenigen zu uns, die solchen Geistes sind, auch wenn sie einen bürgerlichen
Namen tragen. Man kann das Rad der Geschichte nicht rückwärts drehen, aber man
kann ihm bestimmt ab und zu einen kräftigen Schwung vorwärts geben. Wenn der
Herrenmeister sich entschlossen hat, solche Träger bürgerlicher Namen, die als
Christen und Menschen den Voraussetzungen des Ordens entsprechen, als Johanniter
aufzunehmen, dann ist das niemals eine Preisgabe des Prinzips, sondern eine
Anwendung dieses Prinzips auf Edelleute bürgerlicher Namensform. Es ist ein
Hinwegschreiten über die Störungen, die auf diesem Gebiet durch die
republikanische Gesetzgebung entstanden sind, es ist die Neubelebung eines
königlichen Rechtes in zeitgemäß abgeänderter Form. Die Verantwortung, die damit
übernommen wird, ist groß. Wer sie übernimmt, dokumentiert damit den Mut zum
Leben, zum Weitertragen und Weiterleben einer Idee in gänzlich veränderter
Umwelt. Die Gemeinschaft eines christlich ritterlichen Lebens, mit fühlbaren
Opfern verbunden, im ernsten, grauen Alltag einer stürmisch bewegten Gegenwart,
wird zwischen den Trägern adliger und bürgerlicher Namen, sofern sie von ganzem
Herzen Johanniter sind, etwas Neues schaffen, einen Bund von Menschen besonderen
Wollens, die aus ihrer Lebenshaltung heraus dem Nächsten dienen und sich des
Evangeliums nicht schämen wollen, einen lebendigen Laienorden, der gestützt auf
das Fundament seiner historischen Vergangenheit auch dieser Gegenwart gewachsen
ist und deshalb für die Zukunft arbeiten darf." Auf dieser Basis begann nun
praktisch ein völliger Neubau des Ordens. Nachdem von den westlichen
Besatzungsmächten genehmigt worden war, dass sich die Zentrale des Ordens von
Berlin nach Bad Pyrmont verlagere, wurde der Orden zu Beginn des Jahres 1949
auch als Rechtsperson in der Bundesrepublik anerkannt. Allerorts regten sich
Eigeninitiativen, um dem Orden ein neues Gepräge zu geben. Im Verlauf der Jahre
zwischen 1950 und 1952 entstanden zusätzlich zur Johanniter-Schwesternschaft
drei große Teilorganisationen als eigene Ordenswerke.
Die Notlage
in weiten Teilen unseres Volkes führte die Mitglieder des Ordens zu der
Oberlegung, einen gemeinnützigen Verein zur Unterstützung von unschuldigen,
armen und in Elend geratenen Familien, Einzelpersonen und Waisen ins Leben zu
rufen. Dieses Werk sollte über die Grenzen des Ordens hinausgreifen. An ihm
sollten alle überzeugten evangelischen Christen teilnehmen. Vor allem sollte
auch für Frauen ein Feld der Betätigung selbstloser Nächstenliebe erschlossen
werden. Die ersten Ansätze wurden im Bereich der Hamburger Genossenschaft im
Jahre 195a unternommen. Später folgten einzelne örtliche Gründungen in
Nordrhein-Westfalen und in anderen Bundesländern, bis schließlich am 25. August
1952 offiziell in einer Feierstunde in Hannover die Johanniter-Hilfsgemeinschaft
e. V. aus der Taufe gehoben wurde. Viele Jahre hindurch hat sie Tausenden von
Kindern vierwöchentliche Erholungsreisen nach Schweden, Norwegen, Dänemark,
Holland und der Schweiz ermöglicht. Dazu kamen Erholungsaufenthalte innerhalb
Deutschlands. Das alles betraf nur Kinder von unverschuldet in Not geratenen
Menschen aus größtenteils sehr unerquicklichen Lebensverhältnissen in Bunkern
oder Lagern. Dadurch wurden zum Teil für diese jungen Menschen Verbindungen
geknüpft, die einen nachhaltigen Einfluss auf ihr ganzes Leben ausübten. Eine
andere Aufgabe der Hilfsgemeinschaft, die bis zum heutigen Tage anhält, ist die
sehr umfangreiche Paketaktion an Bedürftige in allen Teilen Deutschlands und in
den Nachbarstaaten. Jahrelang gingen diese Pakete an Gefangene in der
Sowjetunion, in Polen und Jugoslawien, wobei - dem alten Grundsatz des Ordens
folgend - die Nationalität keine Rolle spielte. Viele Gefangene haben dadurch
den Impuls zum Durchhalten in langen schweren Jahren erhalten. Als sie dann in
ihre Heimat zurückgekehrt waren, gab ihnen die Hilfsgemeinschaft die so genannte
Heimkehrerstarthilfe. Das geschah in der Erkenntnis, dass staatliche Hilfe nur
dann sinnvoll ist, wenn ihr eine persönliche Hilfe zugeordnet wird. Viele Ritter
des Ordens haben in dieser Zeit bei Behörden für die Heimkehrer Beratungen und
Verhandlungen geführt, damit ihnen langwierige Diskussionen um Wohnungs- und
Arbeitsplatzfragen, um Rentenprobleme und Eingliederung in den
Wirtschaftsprozess erleichtert würden. Männer und Frauen aus den Reihen dieser
Hilfsgemeinschaft (JHG) haben in den Monaten zwischen November 1956 und März
1957, also in den Zeiten der über Ungarn hereingebrochenen schweren Krise, an
der österreich-ungarischen Grenze im Burgenland Samariterdienste geleistet.
Die
Hauptarbeit in diesen Lagern fiel auf die Schultern der zweiten großen
Organisation des Ordens, der Johanniter-Unfallhilfe, die im gleichen Jahr 1952
aus der Taufe gehoben worden war. Entsprechend den Erfahrungen, die der
Bruderorden in Großbritannien, der Order of St. John, durch ein Jahrhundert
hindurch gemacht hatte, wurde im ganzen Bundesgebiet eine Organisation
aufgebaut, die neben dem Malteser-Hilfsdienst, dem Roten Kreuz und dem
Arbeiter-Samariterbund sich als Unfallorganisation im Massenzeitalter für den
karitativen Dienst zur Verfügung hält.
Ähnlich wie
in den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts unter Henry Dunant der Orden dem
Roten Kreuz eine Starthilfe gegeben hatte, wurde nun wiederum vom Orden der enge
Kontakt zum Roten Kreuz gesucht. Ganz unregelmäßig entstanden einzelne Zellen,
von denen aus der weitere Aufbau der Johanniter-Unfallhilfe vorangetrieben
werden konnte. (Über den Auf- und Ausbau der Johanniter-Unfallhilfe berichtet
der Gründer und langjährige Leiter in einem eigenen Aufsatz.)
Das dritte
Ordenswerk, das nach dem Kriege entstanden ist, ist die
„Johanniter-Arbeitsgemeinschaft für Gegenwartsfragen". Sie wurde im Lauf der
Jahre seit dem Herbst 1951 entwickelt und entsprach dem Wunsch jüngerer
Mitglieder des Ordens, die geistigen Konturen unserer Zeit durch
Auseinandersetzungen mit den wichtigsten Problemen wieder zu erkennen und feste
Maßstäbe zu gewinnen. Ihr geistiges Zentrum hatte die Arbeitsgemeinschaft lange
Zeit in Baden-Württemberg, wo sich jedes Jahr sechs größere
Diskussionswochenenden mit den brennenden Fragen unserer Tage befassen. Der
Schöpfer dieses Kreises war der im Jahr 1961 verstorbene Ehrenkommendator
Gerhard von Janson. In einem Kreis von etwa 100 bis 150 Menschen wurden hier bis
zum Ende des Jahres 1966 folgende Themen behandelt: Der Mensch in seiner
Gesamtverfassung, in seiner Abhängigkeit von unterbewussten Kräften, in seinem
Verhältnis zu fremden Völkern, in seinen Beziehungen zu Gott, in seiner Stellung
zur Kunst, zur Geschichte, zum modernen Bauen und zu den ideologischen
Strömungen unserer Zeit etc. Inzwischen hat die Arbeitsgemeinschaft weit über
den Bereich der Baden-Württembergischen Genossenschaft hinausgegriffen. Es haben
sich weitere Arbeitsgemeinschaften in Rheinland-Westfalen, in Norddeutschland
und in Bayern gebildet; Gemeinschaften, die in sich wegen ihrer
Diskussionsfreude und wegen ihres Diskussionsernstes Anziehungskraft gerade auch
auf Außenstehende ausüben. Auch der Verlauf der jährlichen Rittertage einzelner
Genossenschaften zeigt den großen Einfluss, den diese Tagungsform im Orden
gewonnen hat.
Dass dies
alles von einer kleinen Notbaracke und von einem ärmlichen Gartenhaus in
Rolandseck aus verwaltet werden konnte, dass von hier in bescheidensten Formen
die Fäden zusammengehalten wurden, um dem Orden Profil zu geben - das gereicht
dem Orden nachträglich zur besonderen Ehre. Denn in der Zeit, in der die
Zentrale des Ordens von Bad Pyrmont nach Rolandseck bei Bonn am Rhein verlegt
wurde - das war im Herbst 1952 - gehörte es schon zum guten Ton in der
Bundesrepublik, von wohlsituierten neugebauten Häusern aus zu regieren. Der
Herrenmeister, Prinz Oskar von Preußen, war dazu viel zu bescheiden. Sein
Arbeitszimmer war weißgekalkt und hatte einen Umfang von knapp sechs
Quadratmetern. Ein Kreuz und das Bildnis Friedrich des Großen schmückten die
Wände. Diese Bescheidenheit aus 1oberzeugung, die äußere organisatorische Formen
erst fixiert, wenn wirklich etwas geleistet worden ist, brachte dem Orden schon
relativ frühzeitig - im Sommer 1951 - die Anerkennung als eine besonders
förderungswürdige karitative Einrichtung. Diese Anerkennung wurde ausgesprochen
durch den Finanzminister von Nordrhein-Westfalen.
Das
besondere Augenmerk des Prinzen Oskar galt den wenigen Krankenhäusern, die der
Orden in Westdeutschland noch besaß. Dem Herrenmeister ging es darum, hier den
Schwerpunkt der traditionellen Arbeit zu setzen. Die selbständige
Schwesternschaft, ohne die diese Johanniter-Krankenhäuser gar nicht zu denken
waren, wurde im Jahre 1960 dem großen Zehlendorfer Schwesternverband
angeschlossen. Bis tief in die 20er Jahre hatten diese Schwestern das
Hauptkontingent der Oberinnen an evangelischen Krankenhäusern und
Diakonissenanstalten gestellt. Mit den rund 200 Schwestern hat diese
Organisation der Johanniter-Schwestern unter allen Schwesternschaften noch den
geringsten Nachwuchsmangel. Heute treffen wir in allen Ordenskrankenhäusern und
-heimen auf sie, die die größte Last des Ordens mit viel Frohsinn tragen, von
einer großen Zahl von Obhutrittern, Kuratoren, Beratern und Betreuern umgeben
und von vielen Schwestern anderer Verbände unterstützt. Sie können in Häusern
wirken, die seit Beginn der 5oer Jahre entweder - da ausgebombt - wieder
aufgebaut, neu errichtet oder neu erworben worden waren. Heute verfügt der Orden
über hochmoderne und großzügige Krankenhausanlagen. Er wird angegangen von
zahlreichen Städten und Gemeinden, die ihm Führung und Besetzung der
Stadtkrankenhäuser anbieten.
In den 31
Jahren seines Wirkens hat also der Herrenmeister Prinz Oskar von Preußen
entscheidend dazu beigetragen, um in der wohl kritischsten Lage der
Ordensgeschichte nicht nur die Tradition fortzuführen, sondern dem Orden selbst
in der Welt der modernen Industriegesellschaft neue und angemessene Aufgaben zu
stellen und ihn damit vor seinem Ende zu bewahren. Er hat dem Herrenmeister
Prinz Wilhelm Karl von Preußen, seinem Sohn und Nachfolger, der durch das
Kapitel vom 22. und 23. Februar 1958 in Wiesbaden gewählt worden war, solide
Fundamente zurückgelassen, auf denen er gemeinsam mit dem Kapitel und den
Ordensrittern weiterbauen kann.
Am 10. Mai
1958 wurde Prinz Wilhelm Karl feierlich in der Johanniter-Kommende Niederweisel
in sein Amt eingeführt. Es war die einzige, dem Orden noch gehörige
Hospitalkirche aus alter Zeit. Entsprechend dem Wunsch des neuen Herrenmeisters
wurde sie dann auch zum geistlichen Zentrum des Johanniter-Ordens, gleichsam als
der dem
Orden von der Nachkriegssituation aufgezwungene „Ersatz" für die Ordenszentrale
in Sonnenburg. Prinz Wilhelm Karl zweites Bemühen galt und gilt der
Konsolidierung und dem Ausbau der Johanniter-Schwesternschaft, die schon wenige
Wochen nach seinem Amtsantritt den Charakter des Eingetragenen Vereins
zugesprochen erhielt. Damit wurde sie von sich aus beweglicher, erhielt auch
deshalb noch mehr Anziehungskraft als bisher und führte gerade durch die
Aufwärtsbewegung den Beweis, dass es offenbar moderne Wege gibt, die - trotz
aller Fluktuation auch innerhalb der Johanniter-Schwesternschaft - dem
Schwesternmangel abzuhelfen in der Lage sind. Die modern eingerichteten
Schwesternschulen in Bonn, Rheinhausen, Gronau, Oberhausen-Sterkrade und
Radevormwald können jedenfalls nicht über Nachwuchsmangel klagen. Begonnen noch
von Prinz Oskar, mit Energie in Angriff genommen und durchgeführt aber durch den
Prinzen Wilhelm Karl, haben sich die Krankenhäuser und Heime des Ordens sowohl
nach ihrer Zahl als auch nach der Anzahl ihrer Betten erheblich vergrößert. Zu
den beiden Häusern der Balley in Oberhausen-Sterkrade (Krankenhaus) und
Berlin-Lichterfelde (Altersheim) trat noch ein neues Johanniter-Wohnheim im
Gelände des Berliner Altersheims hinzu. Die Bayerische Genossenschaft errichtete
in Schloß Elmischwang ein Altersheim, die Hamburgische und Pommersche
Genossenschaft gründeten in der Bucht von Eckernförde das Internat Hemmelmark,
die Preußische Genossenschaft übernahm das Krankenhaus in Burscheid (Bez.
Düsseldorf), die Hannoversche und Hessische Genossenschaft verbreiterten und
erneuerten ihre beiden Krankenhäuser in Gronau und Niederweisel. Das Krankenhaus
in Dannenberg wurde in ein Altersheim umgewandelt, dem ein Heim für spastisch
gelähmte und körperbehinderte Kinder hinzugefügt wurde. In Celle errichteten die
Hannoversche und die Pommern-Westpreußische Genossenschaft, in Bremen die zu
Hannover gehörende Subkommende je ein modernes Altersheim. Die Rheinische
Genossenschaft erwarb zu den beiden Krankenhäusern in Bonn und Dierdorf noch die
Krankenhäuser in Radevormwald und Rheinhausen sowie das Altersheim in
Radevormwald hinzu. Außerdem gliederte sie dem Krankenhaus in Rheinhausen ein
weiteres Altersheim an. Die Schlewig-Holsteinische Genossenschaft tauschte die
Lungenheilstätte in Plön gegen ein Altersheim in Bothkamp (Krs. Plön). Die
Westfälische Genossenschaft baute ihre drei Häuser in Oeynhausen aus und
modernisierte sie, sie gab das Hospiz in Bad Lippspringe pachtweise an die
Balley als Bundesschule für die Ausbildung von Schwestern-Helferinnen ab und
pachtete das Jagdhaus Monrepos bei Neuwied durch die
Johanniter-Hilfsgemeinschaft als ein Heim für erholungsbedürftige unbemittelte
Menschen. Eine völlig neuartige Aufgabe übernahm der Orden schließlich in
Köln-Lindenthal, wo er ein Johanniterheim für 14 Studentinnen und 58 Studenten
aller Nationalitäten und Religionen erbaute. Daneben bestehen natürlich die
alten Verbindungen zur Kaiserin-Auguste-Victoria-Stiftung auf dem Ölberg zu
Jerusalem, zum Anna-Stift in Hannover-Kleefeld und zur Bildungs- und
Pflegeanstalt Hephata in Mönchengladbach. Zu den insgesamt zwölf aus der alten
Zeit überkommenen Häuser traten also - die Ausbildungsstätten und
Schwesternschulen in Bonn, Gronau, Rheinhausen, Oberhausen-Sterkrade und
Radevormwald eingeschlossen - zwölf neue Häuser. Die Krankenhäuser unter ihnen
verfügten 1970 über rund 1800 Betten gegenüber einer Bettenzahl von etwa 900
nach Kriegsende im Bundesgebiet, aber eben auch gegenüber einer Bettenzahl von
bald 4000 vor Beginn des Zweiten Weltkrieges. Dazu kommen rund 900 Plätze in
Alters- und Kurheimen. Diese Zahlen vermögen zu erläutern, was der
Johanniter-Orden im Verlaufe der letzten Jahre getan hat, um seiner Aufgabe in
einer modernen Welt gerecht zu werden.
Schon ein
Jahr nach seiner Amtsübernahme im Jahr 1959 gelang es dem Herrenmeister, nach
langwierigen Verhandlungen innerhalb des Ordens und mit den Behörden für den
Johanniter-Orden das Recht zu erwerben, den alten Ritterorden wieder zu
verleihen. Am 15. Juni 1959 wurde diese Verfügung des Bundespräsidenten Theodor
Heuss über die Genehmigung der Stiftung und Verleihung des Ordens unterschrieben
und veröffentlicht. Das gültige Recht eröffnete für den Johanniter-Orden nach
dem letzten Kriege zwei Wege. Entweder er erhielt durch den Bundespräsidenten
die Genehmigung zur Verleihung seiner Insignien, womit das alte Recht des
Herrenmeisters, wie es im Westfälischen Frieden von 1648 und später unter König
Friedrich Wilhelm IV. ausdrücklich anerkannt ist, wiederhergestellt wurde, oder
der Orden erklärte seine Insignien zu Abzeichen, die lediglich die Zugehörigkeit
zu einer Vereinigung kennzeichnen und damit vom Ordensgesetz nicht betroffen
worden wären. Der Ordenskanzler Hans von Cossel schrieb damals (Mitteilung des
Johanniter-Ordens 3/1959) „Wäre der zweite Weg beschritten worden, so wäre der
Orden - eine durch Hoheitsakt entstandene, auf alten Privilegien beruhende
Körperschaft - den privaten Vereinen gleichgestellt worden. Den früheren,
gesetzlichen, besonderen Schutz seiner Zeichen hätte er verloren. So ging das
Kapitel den ersten Weg ... und erhielt die Genehmigung des Bundespräsidenten.
Das gleiche Recht hatte bereits früher die Friedensklasse des Ordens Pour le
Merite und Das Deutsche Rote Kreuz erhalten. Die Genehmigung konnte nur im
Einklang mit dem Ordensgesetz erfolgen, was besondere Verdienste für die
Verleihung zur Voraussetzung macht. Dem hat das Kapitel durch eine Änderung der
Satzung Rechnung getragen. Während bisher die Übergabe der Insignien
gleichzeitig mit der Aufnahme in den Orden erfolgte, verleiht in Zukunft der
Herrenmeister - mit Zustimmung des Kapitels - die Ehrenzeichen für besonderen
und aufopfernden Dienst für die in § 2 der Satzung genannten Zwecke des Ordens.
Die Verleihung erfolgt nicht vor Vollendung des 35. Lebensjahres und bei
Mitgliedern erst nach fünfjähriger Mitgliedschaft."
Dieser
Erlass traf zeitlich mit den Bemühungen des Herrenmeisters Prinz Wilhelm Karl
zusammen, der Balley Brandenburg neue geistliche Impulse, eine neue geistliche
Ordnung, in Nieder-Weisel ein geistliches Zentrum zu geben und die Kontakte mit
den Ordensbrüdern in Großbritannien, den Niederlanden, der Schweiz und Schweden
enger zu gestalten. Jahrelang hatte der Kommendator der Schweizer Genossenschaft
der Balley, Dr. Freiherr von Stürler, darauf hingewirkt, dass die engen
nationalen Schranken durch den Orden und für den Orden überwunden werden. Ihm
ist es zu danken, dass die bislang direkt zur Balley gehörigen französischen
Ordensritter sich zu einer eigenen französischen Genossenschaft
zusammenschlossen. Die Feier dieses Zusammenschlusses wurde am 26. April 1961 in
Gegenwart von Vertretern der Johanniter aus Großbritannien, Holland, Schweden,
Finnland, Ungarn und des Herrenmeisters begangen. Die Gründung einer eigenen
französischen Genossenschaft erinnerte wieder an den französischen Ursprung des
Ordens. Prinz Wilhelm Karl erklärte während der Feierstunde in Paris: „Franzosen
waren es ja, die unseren Orden ins Leben riefen - ebenso wie in Frankreich die
Wiege des europäischen Rittertums stand." Vielleicht gehört es zum besten Echo
aller Ordensarbeit, dass sich seit 1966 in Nordamerika, in Österreich und im
Süden Afrikas neue Initiativen der Ritter zu ökumenischer und geistiger
Zusammenarbeit regen. Es ist das erste Mal in der Geschichte des Ordens, dass er
- auch organisatorisch - den Sprung über den Atlantik tat.
Dr. von
Stürler verhandelte auch mit den Johanniter-Orden in Großbritannien, den
Niederlanden und Schweden, um zwischen den vier evangelischen in Europa lebenden
und tätigen Johanniter-Orden eine Konvention zustande zubringen. Schon
eineinhalb Monate nach dem Festtag von Paris führten die Verhandlungen des
Barons von Stürler zu der Unterschrift unter die „Allianz"-Konvention von
Niederweisel. Sie sieht in insgesamt acht Artikeln eine engere Zusammenarbeit
der vier Johanniter-Orden mit dem Ziel des Gedankens- und Erfahrungsaustausches
vor. Sie legten die gemeinsamen Arbeitsgrundsätze fest und grenzten sich
gegenüber anderen ähnlichen Ordensneugründungen ab, ohne dass deshalb die
Selbständigkeit und Autonomie der einzelnen Orden angetastet würde. Die
Unterschrift unter dieses Dokument ist gleichbedeutend einer Verbreiterung der
Basis der Ordensarbeit, denn der vereinbarte Erfahrungsaustausch setzt voraus,
dass die vier Orden und ihre Glieder in Zukunft Verbündete sind, Verbündete im
Glauben und in der gemeinsamen Arbeit am notleidenden Menschen. Ein solcher
Zusammenschluss war nahezu naturgegeben in einer Zeit, in der die Kirchen der
Welt unter dem Zeichen der Ökumene näher aneinander rückten und, ohne sich
selbst aufzugeben, Trennendes über Bord zu werfen vermögen. Seit dem 13. Juni
1961 gehören also in diesen Kreis der ökumenischen Bruderschaft auch die Orden,
die den Namen des Täufers Johannes tragen. Die Erfahrungen aus der Vergangenheit
und aus zwei Kriegen, in denen insbesondere die Balley vereinsamt wurde und in
Holland und Schweden Freunde zu verlieren drohte, hatten den Weg zu diesem
geistlichen Bündnis gewiesen. Seither arbeitet eine im Zeichen des Kreuzes
vereinigte Truppe mehr oder weniger gemeinsam, in jedem Fall aber auf Grund
gegenseitiger Absprache auf ein gemeinsames Ziel hin. Dass der langjährige
Generalsekretär des Ökumenischen Rats in Genf, Dr. Visser't Hooft, als Ritter
des Ordens nun im Zentrum solcher Ordensarbeit steht, ist ein Symbol für die
moderne Zielsetzung des Ordens. Nun aber steigerte sich zwangsläufig der
Arbeitsanfall in der Ordenszentrale in Rolandseck. Deshalb beschloss sie im
Einvernehmen mit dem Kapitel, im Frühjahr 1862 nach Bonn in ein eigenes
Ordensgebäude nahe dem Bonner Johanniter-Krankenhaus und direkt neben der
Schwesternschule zu übersiedeln. Dort wurde schließlich zu Ende des Jahres 1962
dem Orden eine neue zusätzliche Aufgabe übertragen: die Ausbildung von
Schwesternhelferinnen. Es ist eine Arbeit, die gewisse Parallelen zur
Johanniter-Unfallhilfe und zu dem in ihr tätigen Katastrophenschutz aufweist.
Denn in allen diesen Fällen geht es darum, menschliche Hilfsreserven in wirklich
ernsten Notzeiten zur Verfügung zu haben. Dem Staat allein kann diese Sorge
nicht überlassen werden. Er würde sich ihr auch wahrscheinlich gar nicht
gewachsen fühlen. In dem damals vom Orden erlassenen Aufruf heißt es: „Die
Schwestern-Helferinnen-Ausbildung soll die Bereitschaft zur Nächstenliebe
fördern helfen und zur Entfaltung der fraulichen Berufung zum Helfen und Pflegen
beitragen. Die Ausbildung soll dazu befähigen, eine staatlich geprüfte
Krankenschwester in Krankenhäusern, Notkrankenhäusern und Lazaretten zu
unterstützen und für kurze Zeit zu vertreten. Die Ausbildung soll zur
Nachbarschaftshilfe und zur Entlastung von Krankenschwestern durch Übernahme
pflegerischer Dienste in Krankenhäusern anregen; sie soll der
Schwestern-Helferin das Rüstzeug vermitteln, bei karitativen Veranstaltungen und
im Falle eines Notstandes pflegerische Hilfe leisten zu können."
Herrenmeister Prinz Wilhelm Karl hat diese Aufgabenstellung bei der Einweihung
der Bundesschule in Bad Lippspringe noch durch drei Gesichtspunkte ergänzt:
1. Die
Hilfe, die die Krankenhäuser durch die Ausbildung von Schwesternhelferinnen
erfahren sollen, solle dazu beitragen, die ernsten Personalprobleme im
Schwesternberuf zu lösen.
2. Die
Katastrophen und Unfälle um die Wende des sechsten zum siebten Jahrzehnt unseres
Jahrhunderts haben bewiesen, wie notwendig die Ausbildung von freiwilligen und
ehrenamtlichen Frauen und Mädchen in der Krankenpflege ist.
3. Für die
Entwicklung der Jugend ist es notwendig, dass sie mit Not und Leid konfrontiert
wird. Sie darf bei ihrer so starken sonstigen Beanspruchung das Dienen am
Krankenbett nicht verlernen. Es verhilft zur menschlichen Reife.
Zusätzlich
zu den seit 1952 bis 1970 ausgebildeten jährlich 42-45.000 Helferinnen und
Helfern der Johanniter-Unfall-Hilfe wurden nun auch noch in jedem Jahr 1200 bis
1500 Schwesternhelferinnen neu ausgebildet, die in entscheidenden Augenblicken
einspringen können, um Not zu lindern und die Folgen von Katastrophen
einzudämmen. Besonders beachtenswert und erfreulich ist es, dass sich von den
ausgebildeten Schwesternhelferinnen etwa ein Viertel entschlossen haben, nach
entsprechender Fortbildung ganz den pflegerischen Beruf als Gemeindehelferinnen,
Altenpflegerinnen oder sogar auch als Krankenschwestern zu ergreifen. Das
beansprucht zwar die Kräfte des Ordens oftmals bis zum Zerreißen, zumal die
Zentrale nur mit einem kleinen, an Improvisationen gewohnten Stab arbeitet. Aber
es zwingt zugleich den Orden samt seinen Rittern zu einer Arbeits- und
Kräftekonzentration, die allein dafür bürgt, dass der seit 1948 eingeschlagene
Weg auch erfolgreich weiter beschritten wird. Daraus kann sich dann mehr und
mehr jene moderne Form entwickeln, deren der Orden bedarf, um als geistlicher
Ritter-Orden in der Industriewelt wirksam und konkurrenzfähig zu sein.
„Wir werden
aufgerufen zur besonderen Bruderschaft der wachsenden Männer, die stark sind in
dem Herrn und gesättigt in seiner Liebe." (Aus einer Predigt, die der inzwischen
verstorbene Hessische Kirchenpräsident, Prof. Dr. Wolfgang Sucker, Ehrenmitglied
des Ordens, am 29. Juni 1963 in der Ordenskirche zu Nieder-Weisel über die
geistliche Rüstung des Johanniter-Ordens gehalten hat). Die Predigt endet mit
den Worten: „Dass sie zu Deinen Dienern werden!" Darum geht es im Orden heute.
Das wurde ausgesprochen an jenem denkwürdigen Tag, an dem der Orden wieder ein
geistliches Zentrum erhielt. Die Hessische Genossenschaft hatte sich des Ausbaus
und der Restaurationsarbeiten in langer und mühseliger Arbeit angenommen.
Hunderte von Rittern aus allen Teilen der Bundesrepublik haben ihr Scherflein
dazu gegeben. So konnte die alte romanische Kirche in Nieder-Weisel vor dem
Zerfall bewahrt und der ehemalige Krankensaal über dem Kirchenschiff als
Kapitelsaal ausgebaut werden. Die Weihe dieses Saales geschah 18 Jahre nach dem
Verlust von Sonnenburg. Damit war aber auch - dreißig Jahre nach dem letzten
Ritterschlag in Sonnenburg - die Aufnahme der alten Ritterschlagstradition, wenn
auch in leicht abgewandelten Formen, verbunden. So wird nun wieder der jährliche
Ritterschlag gepflegt, ohne den kein Johanniter zum Rechtsritter werden kann.
Der organisatorische Neubau und die zunehmenden Zahlen von Rittern und Helfern
ergeben nach dem Verlust von rund 1000 Rittern während des Zweiten Weltkrieges
eine Bilanz, die hoffen lässt, dass die Balley Brandenburg des Ritterlichen
Ordens St. Johannis vom Spital zu Jerusalem ihre Aufgabe in der Zukunft meistern
wird.
Walther
Hubatsch und Christoph, Freiherr von Imhoff in Der Johanniter-Orden
Die
Herrenmeister der Balley Brandenburg
1. Gebhard von Bortfelde
(1323-1336) (praeceptor generalis)
2. Herrmann von Wereberge
(1351-1371)
3. Bernhard von der
Schulenburg (1371-1397)
4. Detlev von Walmede
(1397-1399)
5. Reimar von Güntersberg
(1399-1418)
6. Busso von Alvensleben
(ungefähr von 1419-1426)
7. Balthasar von Schlieben
(ungefähr von 1426-1437) 8. Nicolaus von Thierbach (1437-1455)
9. Heinrich von Redern
(1459-1460)
10. Liborius von Schlieben
(1460-1471)
11. Kaspar von Güntersberg
(1471-1474)
12. Richard von der
Schulenburg (1474-1491)
13. Georg von
Schlaberndorff (1491-1527)
14. Veit von Thümen
(1527-1544)
15. Joachim von Arnim
(1544-1545)
16. Thomas von Runge
(1545-1564)
17. Franz Neumann
(1564-1569)
18. Graf Martin von
Hohenstein (1569-1609)
19. Friedrich, Markgraf zu
Brandenburg (1610-1611)
20. Ernst, Markgraf zu
Brandenburg (1611-1613)
21. Georg Albrecht,
Markgraf zu Brandenburg (1614-1615)
22. Johann Georg, Markgraf
zu Brandenburg (1616-1624)
23. Joachim Sigismund,
Markgraf zu Brandenburg (1624-1625)
24. Adam, Graf von
Schwarzenberg (1625-1640)
25. Johann Moritz, Fürst
von Nassau (1625-1679)
26. Georg Friedrich, Fürst
zu Waldeck, Graf zu Pyrmont (1689--1692)
27. Karl Philipp, Markgraf
von Brandenburg (1693-1695)
28. Albrecht Friedrich,
Prinz in Preußen (1696-1731)
29. Friedrich Karl
Albrecht, Prinz in Preußen (1731-1762)
30. August Ferdinand, Prinz
von Preußen (1762-1811)
31. Friedrich Karl
Alexander, Prinz von Preußen (1853-1883)
32. Albrecht, Prinz von
Preußen (1883-1906)
33. Eitel Friedrich, Prinz
von Preußen (1906-1926)
34. Oskar, Prinz von
Preußen (1927-1958)
35. Wilhelm Carl, Prinz von
Preußen (1958 - 1999)
36.Oskar, Prinz von Preußen (1999 - andauernd) |